Namen & Neues

"Ich bin für eine Randbebauung - aber nur mit Volksentscheid"

Veröffentlicht am 06.08.2019 von Sigrid Kneist

Nach dem Ende der Sommerpause beginnt das politische Berlin in dieser Woche wieder richtig mit der Arbeit. Stark im Fokus stehen weiterhin die Themen, wie die Menschen der Stadt sich das Wohnen weiter leisten können, wie Verdrängung verhindert und wo neu gebaut werden kann. Ich habe dazu dem Baustadtrat von Tempelhof-Schöneberg, Jörn Oltmann (Grüne), einige Fragen gestellt.

Rot-Rot-Grün hat in seiner letzten Sitzung vor den Sommerferien den Mietendeckel beschlossen. Mit Schulbeginn startet auch das politische Leben wieder, nun muss es an die Ausgestaltung des Gesetzes gehen. Was erwarten Sie als Baustadtrat davon?  Es ist aus meiner Sicht notwendig, dass wir mit dem Mietendeckel auf die Entwicklungen und Prozesse am Wohnungsmarkt reagieren und vor allem diejenigen Haushalte stärker schützen, die mit niedrigem oder mittlerem Einkommen unterwegs sind. Wir müssen allerdings aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Radikallösungen können am Ende genau die Akteure treffen, die wir stärken wollen. Deswegen bin ich dafür, die bisherige Regelung aus der Kooperationsvereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften für alle zu übernehmen, die besagt, dass die Mieten für Bestandsmietverträge um nicht mehr als zwei Prozent jährlich steigen. Wenn wir Mieterhöhungen generell verbieten, gefährden wir vorhandene und geplante Finanzierungspläne von Genossenschaften, Stiftungen und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Das hielte ich für sehr gefährlich.

Sie setzen stark auf genossenschaftliches Bauen. Gerade von den Genossenschaften kommt aber viel Kritik an den Plänen des Senats. Wie bewerten Sie diese?  Mit der bisherigen Formulierung des Senatsbeschlusses teile ich diese Kritik. Genossenschaften bieten bereits heute günstige Mieten an. Es gibt Genossenschaften, die verzichten grundsätzlich auf Modernisierungsumlagen, setzen nur auf eine angemessene Erhöhung der Nettokaltmieten oder Nutzungsgebühren, etwa in dem Rahmen, wie ich es eben mit den Regelungen aus der Vereinbarung mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften beschrieben habe. Wenn wir ihnen diese Möglichkeit nehmen, ziehen wir ihnen den Finanzierungsboden unter den Füßen ihrer Investitionen weg. Wir gefährden damit den Wohnungsneubau und Investitionen im Bestand der Genossenschaften. Dies gilt im Übrigen auch für bestehende Finanzierungen, weil die Beschlusslagen in den Genossenschaften bereits angemessene Erhöhungen beinhalten, die nun nicht mehr verwirklicht werden könnten.

Kann denn der Mietendeckel funktionieren? Wenn ja, wie? Worauf muss geachtet werden? Der Mietendeckel kann mit der bereits angesprochenen Mieterhöhungsmöglichkeit und einem angemessenem Kontrollaufwand funktionieren. Dies betrifft sowohl die Frage, ab welcher Höhe Modernisierungsumlagen zu genehmigen sind, als auch die Frage der wirtschaftlichen Härtefälle von Vermieterinnen und Vermietern. Das Abgeordnetenhaus muss Regelungen finden, die den wirtschaftlichen Härtefall nicht zur Regel machen – und zwar sowohl auf der Vermieter- als auch auf der Mieterseite.

Kommen wir zum Tempelhofer Feld. Aus der SPD wird jetzt vermehr Druck gemacht in Richtung einer Randbebauung; bei einer Umfrage des Tagesspiegels sprachen sich mehr als 60 Prozent der Befragten für eine Bebauung aus. Ist die Debatte noch zu stoppen? Ich rechne damit, dass insbesondere die SPD dieses Thema weiter befeuern wird. Aber auch hier gilt: Das Kind darf nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden. Für eine Bebauung in das Feld hinein und auf vorwiegend nicht versiegelten Flächen wird es auch bei einem zweiten Volksentscheid keine Mehrheit geben.

Vor einem knappen halben Jahr haben Sie mir gegenüber auf einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zu einer moderaten Randbebauung verwiesen. Wie könnte diese aussehen? Der Druck im Wohnungsmarkt, der Druck bei der sozialen Infrastruktur und auch die Klimaschutzdebatte gebieten es, grundsätzlich mit dem Gut Fläche sehr sorgsam umzugehen. Ich habe mich in der BVV von Tempelhof-Schöneberg klar für eine Randbebauung positioniert. Bündnis 90/Die Grünen haben bereits in der letzten Wahlperiode einen BVV-Beschluss für eine Bebauung entlang des Tempelhofer Damms herbeigeführt. Diese Bebauung soll auf vorwiegend bereits versiegelten Flächen entlang des Tempelhofer Damms erfolgen, allerdings ohne eine Blockrandbebauung in das Feld hinein. Auf der anderen Seite haben wir aber einen Volksentscheid gehabt, den wir zu respektieren haben. Dazu stehe ich. Eine Randbebauung kann also nur dann erfolgen, wenn es hierzu einen neuen Entscheid gibt.

Stehen Sie da jetzt nicht in Ihrer Partei ziemlich allein da? Wenn eine erneute Volksbefragung einen solchen abgewogenen Vorschlag ergeben würde, könnte ich mir vorstellen, dass sich die Grünen dahinter versammeln. Meine Meinung ist klar: Ich bin für eine Randbebauung, aber nicht ohne vorhergehenden Volksentscheid.

Wie könnte eine erneute Befragung aussehen? In jedem Fall sollten nicht zwei Radikallösungen zur Auswahl stehen. Ich selbst hatte damals zweimal mit Nein gestimmt. Wir brauchen einen abgewogenen Vorschlag, der die berechtigten Interessen auf beiden Seiten aufnimmt.

Zum Schluss: Die Proteste von Kleingärtnern, deren Kolonien bedroht sind, nehmen zu. Zurzeit macht die Kolonie Eschenallee mobil. Wann soll diese weichen und wofür? Wir haben leider keine oder zu wenige landeseigene Flächen auf denen wir Schulen, Kindergärten oder Sportplätze errichten können. Nur deswegen kommen überhaupt Kleingartenflächen in Betracht, die sich auf landeseigenen Flächen befinden und für die es ein Baurecht gibt. Mir wäre es viel lieber, wenn wir andere Möglichkeiten hätten. Dies gilt aber für jedes Mitglied im Bezirksamt. Es ist heute nur schwer vermittelbar, dass vor vielen Jahren eine Bevorratung an Flächen erfolgt ist und für diese Flächen Baurecht für die soziale Infrastruktur geschaffen wurde. Dies gilt auch für die Kleingartenanlage Eschenallee, die für eine Schulnutzung vorgesehen ist. Auch wenn ich selbst nicht für Schule zuständig bin, kann ich an der Schulpflicht nicht einfach vorbeisehen oder diese ignorieren. Da stehen wir gemeinsam in der Pflicht den gesetzlichen Anspruch von Eltern zu erfüllen. Eine konkrete Beschlusslage zur Inanspruchnahme der Kleingartenanlage Eschenallee gibt es aber noch nicht.

Gibt es keine Alternative zur Bebauung? Wir wären alle dankbar, wenn wir solche Alternativen hätten, und ich bin bereit jede Option zu prüfen. Die Mindestvoraussetzungen sind allerdings hoch, weil wir nicht auf fremden Grund und Boden und ohne Baurecht bauen können.

Können Sie den Kleingärtnern einen Ersatz anbieten? Wir werden beizeiten mit dem Dachverband der Kleingärtner über Lösungen im Bestand sprechen. Wir sind dabei zu prüfen, wo wir Kleingartenanlagen erweitern und neu ausweisen können. Dazu brauchen wir aber auch die finanzielle Hilfe des Senats bzw. des Landes. – Interview: Sigrid Kneist
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Diesen Text haben wir als Leseprobe dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für den Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg entnommen. Den – kompletten – Bezirksnewsletter, den wir Ihnen einmal pro Woche kompakt zuschicken, gibt es ganz unkompliziert und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de