Namen & Neues
Online-Tagebuch der Johanna-Eck-Schule: Alle wieder da
Veröffentlicht am 12.05.2020 von Sigrid Kneist
Jetzt sind von Klasse sieben bis zehn wieder alle präsent in der Tempelhofer Schule. Wie läuft das in Corona-Zeiten? Mit Unterstützung von Verwaltungsleiter Axel Jürs nehmen wir wieder Einblick, wie die Schule den Unterricht unter diesen besonderen Umständen organisiert.
Die Schule geht wieder los, aber anders. Foto: Mike Wolff
„Gedrittelt im Dreischichtsystem. Alle Schüler*innen der Johanna-Eck-Schule (JES) gehen in Corona-Zeiten wieder jeden Tag zur Schule – natürlich zu eingeschränkten Bedingungen: Im Dreischichtsystem mit gedrittelten Klassen. Mit notwendigen Reinigungspausen bedeutet das jeweils zwei Zeitstunden Unterricht pro Schüler*in. Da wären wir aber auch mit einem tageweisen Wechseln von Jahrgängen gelandet.
Der Vorteil unseres „Call for all“. Wir müssen nicht in kurzatmigen Intervallen kommunizieren, was wir selbst nicht verstehen: Staffelregelungen, die keine sind, mit Begründungen, die schon vor keinem aufgeweckten Jugendlichen standhalten, geschweige denn vor ihren Erziehungsberechtigten. Niemand von ihnen hatte verstanden, warum zunächst ein einziger Jahrgang mit Hinweis auf Prüfungen, die dann abgesagt wurden, als erstes „zurückgerufen“ wurde. Und niemand hätte verstanden, warum jetzt von den Jahrgängen 7 und 8 an der Integrierten Sekundarschule der eine „schon“ an die Schule zurückkehren darf, der andere aber nicht.
Unser Grundsatz war also: Alle Klassen erhalten wenigstens in den sechs Wochen bis zu den Sommerferein zu gleichen Bedingungen Präsenzunterricht im eigenen Klassenraum – natürlich in kleinen Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten. Räumlich rechnet sich das aufkommensneutral. Personell und logistisch ist der Aufwand erheblich größer für diejenigen, die das in ihren jeweiligen Funktionen organisatorisch, logistisch und natürlich pädagogisch vorbereiten und realisieren. Aber diese Zeit ist wenigstens in die Kinder investiert, statt in ständig neu zu bauende Stundenpläne, Raumbelegungskonzepte und chancenlosen Erklärungsaufwand.
Anspruchsdenken einzelner. Bemerkenswert ist dabei bisweilen die Selbstverständlichkeit, mit der einige ihrer Erwartung Ausdruck verleihen, dass die an der Schule arbeitenden Menschen dabei nicht auf die Uhr oder den Kalender schauen: Etwa die Mutter, die am Feiertag vor dieser neuen „Corona-Woche“ anrief, und sich nicht nur nicht wunderte, dass das Sekretariat besetzt war; sondern sich beklagte, dass das abends zuvor „schon um 19 Uhr“ nicht mehr möglich gewesen war. Dieses Anspruchsdenken ist dankenswerterweise nicht elterntypisch an unserer Schulen. Die meisten Echos auf unser Vorgehen sind positiv und dankbar: vor allem von Eltern, die in ihrem Umfeld Kinder kennen, die nach wie vor nicht wissen, ob, ab wann und in welchem Umfange sie vor den Sommerferien noch Präsenzunterricht erleben werden.
Unser „Call for all“ ist ein Stück Bildungsgerechtigkeit. Leistungsbereitschaft und Lernwille sollen nicht administrativ ausgebremst werden. Unterschiedliche finanzielle und räumliche Möglichkeiten in Elternhäusern, die Kinder zu unterstützen, sollen nicht ins Gewicht fallen. Eine Mutter beschreibt es drastisch: „Manche Berliner Eltern kapieren wohl jetzt schmerzhaft, dass die Erziehung der eigenen Kinder eigentlich ihre Aufgabe ist, auch wenn der Staat ihnen diese ‚schockierende‘ Erkenntnis mit Ganztagsschule bisher gnädig erspart hatte.“ Ein Vater bedankt sich ausdrücklich unter einem anderen Aspekt für den gleichzeitigen Start aller Klassen: Er hatte Bedenken hinsichtlich einer vorzeitigen Rückkehr sozial benachteiligter, die Reaktion seines Sohnes war eindeutig: „Ich in einer Berlin-Pass-Lerngruppe? Vergiss‘ es!“ Diese Stigmatisierung wollen wir vermeiden.
Wege wie Einbahnstraßen. Foto: privat
Neue Initiativen kommen auf. Ein englischer Leseclub entsteht; Schüler B. führt ein philosophisches Tagebuch. Zitat: „Es ist als ob die…Welt zum Stillstand gekommen ist, und man nach Lösungen sucht, [sie] wieder in Bewegung zu bringen.“ Außer klugen Gedanken stellen sich neue Routinen in der Schule ein: Die Schüler*innen werden pünktlicher, weil der einzige Eingang bei Unterrichtsbeginn zu ist und man anrufen muss, um hineingelassen zu werden. Auch die neue Wegführung im Gebäude funktioniert inzwischen. Eine Schülerin weist ihre Lehrerin, die eine nicht vorgesehene Abkürzung zum Kollegiumsraum wählt, auf die Aushänge in den Treppenhäusern hin, und zitiert deren Lieblingssatz: ,Das müssen wir aber noch üben!‘.“
Die acht vorangegangenen Folgen aus dem Online-Tagebuch können Sie hier nachlesen: „Wie zum Kuckuck sind die ins Gebäude reingekommen?“, „Bleib sauber, Johanna!“, „So ergeht’s dem Schulleiter“, „Schon wieder quadratische Funktionen“, „Danke heißt auf Polnisch Dziękuję“, „Vorbereitungen für die Rückkehr“ und „Es geht wieder los“ und „Masken to go“. – Text: Sigrid Kneist
+++ Dieser Artikel stammt aus dem Tagesspiegel Leute-Newsletter für Tempelhof-Schöneberg. Jeden Dienstag kostenlos per Mail erhalten: leute.tagesspiegel.de
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