Namen & Neues

Begehrte Kleingärten: Kolonie Morgengrauen muss komplett geräumt werden

Veröffentlicht am 09.02.2021 von Sigrid Kneist

Vor wenigen Tagen kam das Kündigungsschreiben des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg beim Kleingartenverband an. Auch die verbliebenen 17 Gärten der Kolonie Morgengrauen in Mariendorf müssen bis Ende November geräumt werden. Den Großteil der Parzellen der Anlage hatten 63 Pächterinnen und Pächter schon im November vergangenen Jahres freimachen müssen. Am Zaun der einstigen Kolonie an der Eisenacher Straße brachten sie weiße Kreuze für die aufgegebenen Gärten an. Der Bezirk beanspruchte das Gelände, um eine Schule zu bauen. Auf dem jetzt gekündigten Bereich, der zum Wolfsburger Weg hin liegt, soll nun darüber hinaus ein provisorischer Schulbau in „modularer Holzbauweise“ entstehen, heißt es beim Kleingartenverband. Dieser ist als Ausweichort bei Schulsanierungen vorgesehen.

Die Sicherung von Kleingartenflächen ist im Wahljahr ein großes Thema. Im vergangen Sommer beschloss der Senat den sogenannten Kleingartenentwicklungsplan, der die allermeisten Kolonien in der Stadt bis 2030 sichern soll; das Abgeordnetenhaus muss er noch passieren. SPD und Linke möchten den dauerhaften Bestand von Kolonien zudem in einem Landesgesetz festschreiben. Das wiederum halten die Grünen auf die Schnelle nicht für machbar; sie fürchten, dass das Gesetz mit den bundesrechtlichen Regelungen kollidieren könne. Ihrer Auffassung nach ist der Kleingartenentwicklungsplan ausreichend. Politischen Rückenwind bei dem Bemühen, das Grün zu erhalten, erhoffen die Grünen sich durch ein von Verbänden angekündigtes Volksbegehren.

Das sagt die Linke im Bezirk. „Gut, dass es auf der Landesebene zwischen SPD und Linke Einigkeit gibt, alle Kleingartenflächen in Berlin verbindlich und langfristig zu sichern und Betroffene adäquat zu beteiligen. Wir hoffen deswegen, dass die SPD im Bezirk ihren bisherigen Kurs in Sachen Kleingärten ändert“, sagte Christine Scherzinger, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der BVV.

Gefährdete Kolonien. Die Kündigung für die Kolonie Morgengrauen war in diesem Jahr die einzige, die Norbert Gieseking, Vorstand des Tempelhofer Kleingartenverbandes bis zum dritten Werktag im Februar erhielt. Zu diesem Stichtag muss das Bezirksamt Flächen kündigen, wenn sie in demselben Jahr geräumt werden sollen. Die anderen Kolonien im Bezirk, die bereits geplanten Bauvorhaben weichen sollen, sind damit zumindest für ein weiteres Jahr gesichert. Das betrifft unter anderem in Tempelhof die Anlagen Germania, Feldblume 1915 sowie Friede und Arbeit, die im Zuge der Planungen für die Neue Mitte Tempelhof betroffen sind. Das Germania-Gelände ist beispielsweise für einen Neubau des Tempelhofer Polizeiabschnitts vorgesehen. Noch ist dieses Areal aber im Bebauungsplan für soziale Infrastruktur wie den Bau einer Kindertagesstätte ausgewiesen.

Planungen für Tempelhof. Ohnehin hat sich der Kleingartenverband im vergangenen Herbst an Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) gewandt, mit der Frage, ob das Land angesichts der durch die Pandemie verursachten finanziellen Belastungen überhaupt an der Entwicklung der Neuen Mitte Tempelhof festhalten wolle. Auf der Liste der Kleingartenkolonien, deren Fläche zur Schaffung von Infrastruktureinrichtungen wie Kitas oder Schulen vorgesehen ist, steht auch die Anlage Eschenallee an der Marienhöhe. Hier ist ein Schulbau geplant. Dass in diesem Jahr das Kündigungsschreiben ausblieb, beruhige „uns vorerst allerdings nur bedingt“, sagt Thomas Koch, Vorsitzender der Kolonie. Und es gebe noch einen Nebeneffekt: Dadurch, dass die Kolonie Eschenallee auf der Liste stehe, „können wir für ältere Pächter, die gewillt sind, ihre Gärten für Nachrücker freizumachen und obwohl genug Interessenten im Bezirksverband gemeldet sind, keine potenziellen Nachpächter finden – und das in Coronazeiten“.

Das Interesse an einem Kleingarten ist im vergangen Jahr in der ganzen Stadt enorm gestiegen. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020, als der Aufenthalt im Freien erheblich eingeschränkt wurde, erkannten viele Menschen, welchen Wert ein eigener Garten haben könnte, und bewarben sich um eine Parzelle. Bis Juni hatten sich allein beim Verband Tempelhof 1330 Interessenten gemeldet. Dann wurde die Liste geschlossen. Denn auch aus den Vorjahren warten noch etliche Bewerberinnen und Bewerber auf einen Garten. Die Wartezeiten sind lang: Im Tempelhof können durchschnittlich nur rund fünf Prozent der 3573 Parzellen in einem Jahr neu vergeben werden.
Foto: Frank Jansen

+++ Das ist ein Ausschnitt aus unserem Newsletter Tempelhof-Schöneberg. Jeden Dienstag kostenlos: leute.tagesspiegel.de

+++ Die Themen der Woche:

  • Keine Lizenz fürs Digitale: Die BVV tagt kommende Woche in der Sporthalle
  • Von der Bundes- in die Landesliga: Ex-Unioner Michael Parensen wird Polar Pinguin
  • Begehrte Kleingärten: Kolonie Morgengrauen muss komplett geräumt werden
  • Grünsanierung: Jetzt sind der Lehnepark und der Alte Park in Tempelhof dran
  • Radspuren auf dem Tempelhofer Damm: Initiativen kritisieren Position der CDU
  • Von Blech und Hirschen: Ein Hornist der Berliner Philharmoniker erzählt
  • Bitterkalte Nächte: Hier können Sie warme Sachen spenden