Namen & Neues

Queere Christen in Berlin: „Wenn Gott mich geschaffen hat, wie ich bin, warum fühle ich nicht so, wie mein Körper ist?“

Veröffentlicht am 20.09.2022 von Bao-My Nguyen

Haben christliche Kirchen wirklich Platz für ihre queeren Mitglieder und wenn ja, wie offiziell darf es werden? Eine Kieztour in Schöneberg, organisiert von der Anlaufstelle „Caritas im Pastoralen Raum“ unter dem Motto „Queerfeldein: Kirche in Bunt!“, hat am Sonnabend versucht, schwierige Fragen zu beantworten – aus verschiedenen Perspektiven.

Wie vielfältig und zersplittert die Antworten sind, hätte in zwei Stunden nicht deutlicher werden können: Die Tour begann in der evangelischen Zwölf-Apostel-Kirche nahe Nollendorfplatz, mitten im Regenbogenkiez. Gemeindemitarbeiter Klaus Bormann erzählte dort von der pastoralen Arbeit für queere Christ:innen: Jeden zweiten Dienstag wird ein schwul-lesbischer Gottesdienst gefeiert, homosexuelle Paare können sich segnen lassen und junge Queere sich in offenen Jugendgruppen austauschen.

Ganz anders die Erlebnisse von Jenny Wilken und Wilfred Dominic Josué, erzählt nur wenige hundert Meter weiter vor dem Büro des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg (LSVB), wo Wilken auch arbeitet. Die 34-jährige trans Frau stammt ursprünglich aus Hessen und wuchs in einer evangelikalen Freikirche auf. Als sie merkte, dass sie kein Mann ist, stürzte sie in eine Glaubenskrise: „Wenn Gott mich so geschaffen hat, wie ich bin, warum fühle ich dann nicht so, wie mein Körper ist?“

Eine Beratungsstelle für trans Menschen half auch nicht: Weil sie als Frau leben, sich aber keiner Operation unterziehen wollte, wurde ihr ein Fetisch unterstellt und das Transsein abgesprochen.

In ihrer Verzweiflung wandte Wilken sich an ihre Eltern. Um zu helfen, schickten die sie in eine Art christlich basierte Online-„Konversionstherapie“ – eine Praxis, die in Deutschland inzwischen gesetzlich verboten ist, weil sie unwirksam ist und homosexuelle, transgeschlechtliche und anders queere Menschen seelisch massiv gefährdet.

Wilkens geschlechtliche Identität wurde dort als Angriff des Teufels und Symptom eines ungefestigten Glaubens bekämpft. Sie brach ab, und brach auch mit ihrer Kirche – „so hatte ich mein Christentum vorher noch nie erlebt“, sagt sie. Später wurde sie noch in einem evangelischen Krankenhaus in der Probezeit wieder entlassen, weil dort herausgekommen war, dass sie an Selbsthilfegruppen für trans Menschen teilgenommen hatte. Das passe nicht zu den Werten der Einrichtung, so die Begründung.

Erst an der Universität fand Wilken Gemeinschaft und Unterstützung, zu sich selbst und Stück für Stück auch zu ihrem Glauben zurück. Heute berät sie trans-, inter- und non-binäre Menschen mit Kindern und Kinderwunsch im Regenbogenfamilienzentrum des LSVD.

Wilfred Dominic Josué konnte ebenfalls berichten, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Kirche einen zähneknirschend toleriert, aber nie ganz akzeptiert. Der 36-Jährige ist pansexuell und Vorstandsmitglied im Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Berlin und Teil der Kampagne #outinchurch – und musste erst jüngst wieder einen herben Rückschlag verkraften.

Bei einer mehrtägigen Versammlung des „Synodalen Wegs“, des Reformprozesses der katholischen Kirche, wurde vergangene Woche ein Reformpapier abgelehnt. Mit einer neuen Sexualmoral hätte es der Diskriminierung von queeren Menschen ein Ende setzen sollen (der Tagesspiegel berichtete).

Warum kostbare Lebenszeit dafür aufwenden, eine Religion ins 21. Jahrhundert zu zerren, wenn in der säkularen Welt das Queersein so gut wie in der Normalität angekommen ist – gerade in Berlin? Warum nicht einfach gehen? Wieso das nicht so einfach ist und warum wegen einer Initiative sogar zwei Briefe aus Rom kamen, lesen Sie im vollständigen Artikel meiner Kollegin Margarethe Gallersdörfer.

  • Foto: Margarethe Gallersdörfer
  • Die nächste Möglichkeit zur queeren Vernetzung (und nicht unbedingt mit Bezug auf Kirche) gibt es morgen in den Vereinsräumen des „AHA“. Die Queer Networking Initiative lädt zum Austausch und Kennenlernen nach dem Abklingen der Pride-Events ein: Mittwoch, 21. September, im AHA in der Monumentenstraße 13, 10829, Einlass ab 19 Uhr, Beginn ab 20 Uhr, weitere Informationen hier: queer-networking.de
  • Raus aus dem Schatten und rein ins Rampenlicht: Die aktuelle Ausstellung im C/O Berlin zeigt historische Aufnahmen und aktuelle künstlerische Positionen: tagesspiegel.de
  • Apropos freie Liebe: Mein Kollege Robert Ide sammelt für die Kolumne „Ins Herz“ regelmäßig Geschichten von unseren Leser*innen. In dieser Woche geht es um die mystische erste Liebe. plus.tagesspiegel.de