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Grüne kritisieren CDU-Bundestagskandidaten für "Stimmungsmache gegen bessere Radwege"

Veröffentlicht am 06.02.2024 von Corinna von Bodisco

Ende Januar haben Bürger:innen in Lichtenrade Post vom Bundestagsabgeordneten Jan-Marco Luczak (CDU) bekommen. Der Anlass: Neun Straßen oder Straßenabschnitte im Ortsteil Lichtenrade sollen in das sogenannte Radvorrangnetz aufgenommen werden. Dafür haben Grüne, SPD und die Linke in einem Antrag in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg am 17. Januar gestimmt. CDU, FDP und AfD stimmten dagegen.

Nun wirft die Grünen-Fraktion dem CDU-Bundestagskandidaten vor, mit falschen Behauptungen auf Stimmenfang für die Wiederholungswahl zu gehen. Ist da etwas dran?

Luczak erklärt im Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt: „Straßen im Radvorrangnetz erhalten Radwege, die mit Pollern geschützt und mindestens 2,5 Meter breit sind.“ Dadurch würden häufig zahlreiche Parkplätze oder Fahrspuren wegfallen. Und weiter: „Ihre Straße soll nun Teil des Radvorrangnetzes werden – das haben Grüne, SPD und Linkspartei in der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg beschlossen. In Ihrer Straße könnten daher bald breite und mit Pollern geschützte Radwege entstehen.“ Das lehnt Luczak ab – viele Menschen in Lichtenrade seien auf ihr Auto angewiesen, da ein gut ausgebautes Netz der öffentlichen Verkehrsmittel bisher fehle.

Doch die Behauptung, dass Straßen im Radvorrangnetz immer Poller und eine Breite von mindestens 2,5 Meter erhalten, ist laut der Grünen-Fraktion falsch. „Der Ausbaustandard von Radwegen im Vorrangnetz des Radverkehrsplans ist zwar grundsätzlich ein höherer, da diese Straßen als wichtige Verbindungen für den Radverkehr identifiziert wurden“, erklärt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Astrid Bialluch-Liu. Welche Art der Radinfrastruktur aber laut gesetzlichen Vorgaben und Standards eingerichtet werden soll, hänge vielmehr von der Kategorie der Straße ab, ob sie eine übergeordnete Straße oder eine Nebenstraße ist.

Auch Jens Steckel, Sprecher des Netzwerks Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg, bestätigt: „Im besagten BVV-Beschluss geht es fast durchgängig um Nebenstraßen, nur ein kurzes Stück – die Barnetstraße – ist eine Hauptverkehrsstraße.“ In Nebenstraßen würden sogenannte Fahrradstraßen geschaffen. „Da werden Verkehrszeichen aufgestellt und Markierungen angebracht. Bauliche Anlagen sind da nicht vorgesehen, auch keine Radwege oder geschützte Radfahrstreifen.“

Die besagten geschützten Radfahrstreifen mit 2,5-Metern-Breite würden nach Mobilitätsgesetz und Radverkehrsplan nur auf Hauptverkehrsstraßen umgesetzt. Dafür würde dann ein Parkstreifen oder ein Fahrstreifen verwendet. „Ist genügend Platz oberhalb der Bordsteinkante vorhanden, kann auch ein Radweg errichtet werden“, ergänzt Steckel. Doch das treffe für fast alle Straße im BVV-Beschluss nicht zu. „In diesem Sinne ist das Horrorgemälde von Herrn Luczak nicht zutreffend.“

Konkret geht es um diese Straßen: Halker Zeile zwischen Buckower Chaussee und Kettinger Straße, Kettinger Straße zwischen Halker Zeile und S-Bhf.-Schichauweg, Barnetstraße zwischen S-Bhf. Schichauweg und Simpsonweg, Simpsonweg zwischen Barnet- und Werfelstraße, Werfelstraße, Geibelstraße zwischen Werfel- und Grimmstraße, Grimmstraße zwischen Geibelstraße und Rotenkruger Weg, Lessingstraße zwischen Lintruper Straße und Kettinger Straße, Petkusser Straße über Kesselstraße bis zur Briesingstraße.

Doch Luczak bleibt dabei: Das Thema sei ein komplexes Zusammenspiel des von Rot-Rot-Grün in Kraft gesetzten Mobilitätsgesetzes und des Radverkehrsplans. „Eine Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenstraßen gibt es im Radverkehrsplan nicht. Dort kommt es allein darauf an, ob Straßen dem Radvorrangnetz zugeordnet sind“, sagt er. Nach dem Mobilitätsgesetz (§ 42 Abs. 1) seien deswegen auch nur die „für den Radverkehr besonders wichtigen Verbindungen, insbesondere Verbindungen von gesamtstädtischer Bedeutung“, in das Vorrangnetz aufzunehmen. Luczak zeigt sich verwundert, dass sich Grüne und SPD mit „Ermessensspielräumen herausreden wollen“.

Steckel widerspricht erneut: Nebenstraßen würden im Vorrangnetz als Fahrradstraßen umgesetzt und nicht baulich vom Kfz-Verkehr getrennt. So ist es auch im Radverkehrsplan zu lesen und auf der Webseite der Verkehrsverwaltung.

Letztlich ist mit dem BVV-Beschluss allein noch nichts entschieden. Das Bezirksamt soll zunächst prüfen, ob die genannten Straßen den zuständigen Stellen vorgeschlagen werden. Dass die Straßen Teil des Vorrangnetzes werden, ist also noch nicht klar. Das sagt auch Jens Steckel: „Die Aussicht, dass das Vorrangnetz allgemein und in Lichtenrade konkret alsbald ausgebaut wird, ist relativ unwahrscheinlich.“

Denn obwohl es sich um Nebenstraßen in der Verantwortung des Bezirks handelt, „greift die Senatsverwaltung in die Umsetzung des Radvorrangnetzes ein und tut gerade alles, um die Radverkehrsprojekte herunterzufahren“, so Steckel. „Und wegen neuer Vorgaben der Senatsverwaltung wird die Schaffung neuer Radverkehrsanlagen für die Bezirke immer mühsamer.“ Trotzdem fordern die Fahrrad-Verbände vom Senat, dass mit beschleunigter Anstrengung die Radverkehrsanlagen im Radvorrangnetz ausgebaut werden.