Kiezgespräch

Veröffentlicht am 10.11.2020 von Judith Langowski

Kennen Sie Straßen in unserem Bezirk – oder gar Berlin – die nach Frauen benannt sind, die Opfer von Hexenverbrennungen wurden? Mir sind solche Straßen nicht bekannt (ich freue mich aber über Hinweise). Wenn es nach einer Initiative im Bezirk gehen soll, könnte aber bald eine unserer Hauptstraßen, die sogar am Rathaus Schöneberg vorbeiführt, den Namen einer „Hexe“ tragen.

Das „Prista-Frühbottin-Straßen-Team“ setzt sich für eine Umbenennung der Martin-Luther-Straße ein. Zuerst hatte die Taz darüber berichtet. Statt dem Kirchenreformator, dem nicht nur diese Initiative Antisemitismus und Frauenhass vorwirft, schlägt das Team vor, dass die Straße nach Prista Frühbottin benannt wird. Sie wurde am 29. Juni 1540 in Wittenberg gemeinsam mit drei anderen hingerichtet. Das Jahr war ein besonders heißes, in ganz Mitteleuropa herrschte Dürre. In Wittenberg wurde Frühbottin als Schuldige gefunden, sie soll mit einem „Wetterzauber“ für die Hitze gesorgt haben. Die Szene hat sogar Lucas Cranach d. Jüngere auf diesem Holzschnitt dokumentiert (sein Vater war damals Bürgermeister von Wittenberg).

Dem Tagesspiegel liegt ein Antrag auf Umbenennung vor, den die Initiative anonym, über ein Rechtsanwaltbüro, dem Bezirksverordnetenvorsteher Stefan Böltes zugeschickt hat. Böltes schreibt, er„sehe derzeit nicht“, dass die Umbenennung den Bedingungen des Berliner Straßengesetzes entspreche. Hiernach dürften nur Straßen und Plätze umbenannt werden, die es in Berlin doppelt gibt, die von 1933-45 aus Nazi-Gesinnung benannt wurden, von 1949-89 durch „kommunistische Unrechtsregime“ und „aus der Zeit vor 1933, wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde“. Außerdem müsste erst ein Einwohnerantrag mit über 1000 Unterschriften vorliegen und die BVV dann dem Umbenennungsprozess zustimmen, bevor dieser beginnen könnte.

Die BVV-Fraktionen äußerten sich laut Taz skeptisch bis negativ zur Idee. „Eine Umbenennung der Martin-Luther-Straße ist derzeit kein Thema“, bekräftigt Oliver Fey, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, nochmal gegenüber dem Tagesspiegel. Und Patrick Liesener, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU und Sprecher für Kultur, betont in seiner Stellungnahme, wie wichtig es sei, sich mit allen Facetten von Luthers Wirken“ auseinanderzusetzen. Die Fraktion lehne Luthers Aussagen genauso ab, wie eine Umbenennung der Straße. Die Auseinandersetzung mit Luther darf kritisch sein, aber das erreicht man nicht, indem man ihn einfach versteckt.

Diese Position vertritt auch Torsten Zugehör. Der Oberbürgermeister der Lutherstadt Wittenberg wandte sich in einem Brief an Bezirksverordnetenvorsteher Böltes in dem er dafür warb die Martin-Luther-Straße als solche zu belassen. Die Diskussion sehe er auch als notwendig, aber benötige eine differenzierter Betrachtung aus mehreren Perspektiven“. Die Kontroversität Luthers und wie seine Meinungen auch von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurden, sollen nicht ohne die Verortung in unsere alltägliche Lebenswelt thematisiert werden“.

Martin Luthers Namen aus dem Stadtplan zu tilgen, würde nur auf den ersten Blick für Wiedergutmachung sorgen. Die eigentliche Herausforderung sei die kontroversen Aussagen Luthers zukünftig in einem offenen Diskurs zu hinterfragen. Zugehör schließt den Brief mit einer klaren Aussage: Man befreit sich nicht von der Geschichte, in dem man sie aus der Öffentlichkeit verdrängt! Stefan Böltes hat bisher noch nicht auf das Schreiben reagiert.

Auch Mathias Tietke, Sachbuchautor verschiedener Bände über Wittenbergs Geschichte und Betreiber der Facebook-Seite Wittenberg. Die 99 besonderen Seiten der Stadt, plädiert für einen offenen Umgang mit der Geschichte. Aus seiner Sicht wäre eine solche Umbenennung ebenso falsch, „wie es der permanent unkritische und einseitig affirmative Umgang mit Luther und dessen Erbe ist“. Statt Aktionismus sei es viel wichtiger, kritisch Fragen zu stellen: Weshalb war Luther bei den Nationalsozialisten so sehr beliebt, dass sie Wittenberg 1938 offiziell zur Lutherstadt machten? Welche Rolle spielt der Antijudaismus bzw. der Antisemitismus bei Luther?

Die Diskussion ist noch nicht vorbei: Wie sehen Sie das, liebe Newsletter-Leser*innen? Wie soll der Bezirk mit dem Namen Martin Luthers umgehen? Schreiben Sie mir, ich freue mich auf Ihre Meinung: judith.langowski@tagesspiegel.de