Kiezgespräch
Veröffentlicht am 24.10.2023 von Karin Rieppel
Die Mieter:innen in der Bülowstraße 94/95 wissen nicht mehr weiter. Die Probleme der umliegenden Straßen – Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und Prostitution – schwappen in ihre Häuser und sorgen dort für unhaltbare Zustände. Ihr eigenes Engagement reicht nicht, um die Lage zu verbessern, und ihre Vermieterin, die landeseigene Gewobag, und das Bezirksamt unternehmen ihrer Ansicht nach nicht genug, um den Bewohner:innen zu helfen: „Wir fühlen uns von allen im Stich gelassen“.
Ortstermin in der Bülowstraße. Judith B. (73) und Carsten N. (61), beide aktiv im Mieterrat, führen durch die Häuser. Mit dabei ist auch Regina Wosnitza vom Quartiersrat Schöneberg, sie unterstützt die Mieter:innen schon seit mehreren Jahren. Während wir uns im Eingangsbereich unterhalten, mittags um 13 Uhr, stehen vor dem Haus drei junge Prostituierte und warten offensichtlich auf Freier. Und leider passiert es fast täglich, dass Prostitution auch in den Häusern stattfindet, in den Gängen, auf den Etagen und im Keller. Auch Obdachlose und Drogenabhängige dringen ein, spritzen sich, schlafen dort. Von ihren Hinterlassenschaften gibt es überall deutliche Spuren, es ist auf zahlreichen Fotos dokumentiert. Und weil diese Zustände schon so lange herrschen, sind die Bewohner:innen verzweifelt: „Wir lieben unsere Wohnungen und wir lieben unseren Kiez, aber das halten wir nicht mehr aus.“
Die Gewobag erklärt dazu, man habe in den letzten Jahren umfangreiche Maßnahmen für Verbesserungen ergriffen, sowohl baulicher und technischer Art als auch allgemeine Maßnahmen, wie ständige Reparaturen, reguläre Reinigung zweimal statt nur einmal die Woche, Sonderreinigungen, usw. eingeführt. „Stimmt,“ sagt Regina Wosnitza, „die Gewobag hat etwas getan, doch was ist, wenn das nicht reicht?“ Und sie und die Mieter:innen zählen zahlreiche Beispiele dafür auf, dass viele dieser Maßnahmen ungenügend und nicht von Dauer sind. Das sieht man auch überall: Die Häuser sind, um es deutlich zu sagen, verdreckt und verwahrlost.
Wie kann man verhindern, dass das Elend der Straße immer wieder in die Häuser eindringt? Es gab und gibt Runde Tische, Netzwerkrunden, Mietertreffs, Begehung der Häuser mit sozialen Trägern, regelmäßigen Austausch mit der Präventionsbeauftragten der Polizei, Streetwork Teams auf den Straßen der Umgebung, gezielte Straßenreinigung durch die BSR, die Drogenberatungsstelle Büloweck, regelmäßige Polizeistreifen, Kooperation mit OLGA, dem Frauentreff in der Kurfürstenstraße, und aktuell die Kältehilfe um die Ecke in der Kurmärkischen Straße. Wer weiß, was ohne all diese Maßnahmen und Hilfsangebote los wäre. Dennoch belagern die Menschen die Häuser.
Die Probleme sind den Bezirkspolitikern bekannt. Oliver Schworck (SPD), Stadtrat für Jugend und Gesundheit, kündigt an, demnächst das Gesundheitsamt in die Bülowstraße zu schicken. Eva Majewski (CDU), Stadträtin für Stadtentwicklung und Facility Management, verweist darauf, dass das Bezirksamt im Allgemeinen und das Stadtentwicklungsamt im Besonderen gegenüber der Gewobag keinerlei Weisungsrecht habe. Das betont auch Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne). Der Senat als Gesellschafter der landeseigenen Gewobag habe die Möglichkeit, sie in die Pflicht zu nehmen.
Doch will er das auch? „Bei einem Runden Tisch im September 2022 argumentierte der Senat, dass es nicht primär die Aufgabe eines Wohnungsunternehmens ist, für die Sicherheit im gesamten Stadtgebiet zu sorgen, insbesondere, wenn sich die Probleme auf ein bestimmtes Gebäude wie die Bülowstraße 94/95 beschränken lassen. Sie verweisen darauf, dass ähnliche Probleme flächendeckend in der ganzen Stadt auftreten und sehen daher den Bezirk in der Pflicht, angemessene Lösungen zu finden“, so Jörn Oltmann und er fügt hinzu: „Beide Akteure, die Gewobag und der Senat, scheinen bestrebt zu sein, keinen Präzedenzfall zu schaffen, der Auswirkungen auf andere Liegenschaften oder Bezirke haben könnte.“
Es gab 2022 eine Zeit, da campierten Menschen auf allen Etagen. Als Konsequenz daraus wurde damals ein 24-Stunden-Sicherheitsdienst installiert. Das habe, sagen die Mieter:innen, deutlich spürbar zu einer Verbesserung der Situation geführt. Doch im November 2022 wurde die Security aus Kostengründen auf 5 Stunden täglich zwischen 18 und 22 Uhr reduziert. Seitdem gehe es wieder drunter und drüber. Die Gewobag hat den Bewohner:innen angeboten, bei einer Beteiligung an den Kosten von 100 Euro pro Monat wieder auf Rundum-Security umzustellen. Die Mieter:innen sagen: „Das können wir nicht bezahlen.“ Die Gewobag sagt: „Langfristig können wir als landeseigenes Wohnungsbauunternehmen diese Kosten nicht zusätzlich leisten.“ Bezirksstadträtin Eva Majewski sagt: „Vermutlich wird die Gewobag der Lage nur dadurch kurzfristig Herr werden können, indem sie zumindest den Sicherheitsdienst wieder rund um die Uhr aktiviert.“
- Fotos: Karin Rieppel/Mieterrat Bülowstraße