Nachbarschaft
Veröffentlicht am 18.08.2020 von Sigrid Kneist

Paul Hirsch, Widerstandskämpfer in den Mariendorfer Askania-Werken, 25. Oktober 1907 bis 21. August 1945. Das Bild zeigt ihn und seine Frau Hertha am Tag ihrer Hochzeit im Jahr 1938.
An der Großbeerenstraße in Mariendorf weist ein Denkmal auf den Widerstand gegen die Nazis in den Askania-Werken hin, die einst dort ihren Sitz hatten. In diesem für die Kriegsrüstung wichtigen Optikbetrieb wurden unter anderem Periskope für die deutschen U-Boote hergestellt. Paul Hirsch baute dort gemeinsam mit anderen eine Widerstandsgruppe der „Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation“ auf. Die Historikerin Bärbel Schindler-Saefkow, die Tochter des von den Nazis hingerichteten Widerstandsanführers Anton Saefkow, erinnert hier an Paul Hirsch, dessen Todestag sich am Freitag zum 75. Mal jährt.
„Am 8. Januar 2020 gedachten wir der getöteten Widerstandskämpfer der Askania-Werke Karl Lade, Kurt Rühlmann, Stanislaus Szczygielski, Walter Zimmermann sowie des zuvor bereits ermordeten Paul Junius. Sie starben durch die faschistische Mordjustiz. Nur ihr Mitstreiter Paul Hirsch war seinen Peinigern entkommen. Er befand sich auf der Flucht sogar bis über die Ostgrenze. Dort konnte man seine Geschichte kaum glauben, dass er Antifaschist, von den Nazis verhaftet und auf dem Wege zum Prozess, wo ihn der Tod erwartete, entkommen sei. Man brachte ihn in verschiedene Kriegsgefangenenlager, wo er schließlich im August 1945 in der Nähe von Karaganda (im heutigen Kasachstan) starb. Die Nachricht von seinem Tod erreichte seine Witwe Hertha und seine zwei Söhne Helmut und Jürgen erst spät und über große Umwege.
Gedenktafel an der Großbeerenstraße. Aber der Wunsch, jenen Paul Hirsch, der am 25. Oktober 1907 in Berlin geboren wurde, ein ehrendes Gedenken zu bewahren, blieb in Berlin im Kreise seiner Kollegen aus dem Askania-Werk und unter den Mitkämpfern der Widerstandsgruppe über Jahrzehnte lebendig. 2014 wurde das Denkmal in Mariendorf am ehemaligen Eingang zum Askania-Werk eingeweiht.
Der Werdegang. Paul Hirsch erlernte den Beruf eines Werkzeugmachers und gehörte zu den hoch gebildeten Facharbeitern. Er arbeitete seit 1938 bei Askania, einem großen Berliner Rüstungsbetrieb. Schon vor 1933 wurde er Mitglied der KPD und dem Deutschen Metallarbeiterverband. 1938 heiratete er Hertha Ackermann, die ebenfalls aus einem Elternhaus stammte, das den Nazis gegenüber kritisch war. Seinen Weg in die Arbeiterbewegung hatte er unter anderem über den Arbeitersport gefunden. Hier hatte er seine politischen Freunde, selbst als nach der Zerschlagung des Arbeitersportverbandes „Fichte“ sich die früheren Freunde nun in bürgerlichen Verbänden wiederfanden.
In der illegalen Organisation betrieb Paul Hirsch Propaganda gegen den Krieg der Nazis, verbreitete Flugblätter, beteiligte sich an Geldsammlungen und half Zwangsarbeitern. Sowjetische Zwangsarbeiter wurden zur Gartenarbeit nach Hause eingeladen und hier mit Lebensmitteln und Rundfunkneuigkeiten von den Fronten versorgt. Mit französischen Arbeitern entwarf er gemeinsam Flugblätter. Er trug den illegalen Tarnamen „Franz“. In den Askania-Werken in Mariendorf baute er gemeinsam mit anderen eine der größten Betriebszellen der Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation auf, die von Kommunisten initiiert war, aber auch politisch Andersdenkende zusammenschloss.
Das Organisieren des Widerstandes im Krieg und unter den Augen der Betriebsleitung war überall schwer, auch und besonders bei Askania. Dennoch gelang es den Widerstandskämpfern lange Jahre, unentdeckt zu bleiben und nicht verraten zu werden. Bis zum Jahr 1944. Im Juli dieses Jahres wurde auch Paul Hirsch verhaftet und bei Verhören schweren Misshandlungen unterworfen. Er konnte trotzdem – es war wie ein Wunder – auf einem Transport in Potsdam fliehen. Er versteckte sich mehrere Monate und machte sich auf den Weg, um zu den sowjetischen Truppen überzulaufen. Dies ist ihm auch gelungen, jedoch starb er an den ungeheuren Strapazen, die er seit seiner Verhaftung erdulden musste, in einem Kriegsgefangenenlager im August 1945. Ein besonders tragisches Schicksal des Widerstands, das wir nicht vergessen wollen.“
Zum 75. Todestag veranstaltet die Initiative der Kinder und Hinterbliebenen des Widerstands gemeinsam mit dem Unternehmensnetzwerk Großbeerenstraße eine Online-Gedenkveranstaltung, bei der es einen Vortrag von Helmut Hirsch, dem Sohn von Paul Hirsch, gibt. Freitag, 21. August, 17 Uhr, via Zoom. Infos zu der Veranstaltung finden Sie hier.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-s.kneist@tagesspiegel.de
Foto: Privat
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