Nachbarschaft
Veröffentlicht am 08.09.2020 von Sigrid Kneist

Peter Witt (64), ehemaliger ehrenamtlicher Richter, amtierender Vorsitzender der bezirklichen Seniorenvertretung, Schöneberg.
Einmal im Monat war Sitzungstag im Gericht am Magdeburger Platz. Dann nahm Peter Witt Platz auf der Richterbank. Dabei war Witt gar kein Jurist, sondern arbeitete bei der Berliner Stadtreinigung (BSR). 26 Jahre lang war der Schöneberger ehrenamtlicher Richter beim Arbeits- beziehungsweise Landesarbeitsgericht. Ende August wurde er dort verabschiedet. Und auch beim Sozialgericht in der Invalidenstraße war er 15 Jahre lang in gleicher Funktion tätig. Seit Februar ist der 64-Jährige auch bei der BSR im Ruhestand. Das heißt aber nicht, dass er nichts mehr zu tun hat. Witt hat noch genügend andere Ehrenämter: beim DGB, bei der Unfallkasse Berlin und in der Seniorenvertretung sowohl im Bezirk als auch auf Landesebene. “Der Vorteil ist, dass ich nicht mehr so früh aufstehen muss”, sagt Witt. So früh, das heißt bei ihm zwischen halb fünf und fünf. Um die Zeit klingelte während seines Berufslebens der Wecker. Um sechs Uhr wollte Witt in der Regel auf dem Betriebshof sein, um sich als Personalratsmitglied um seine Kollegen kümmern zu können. Jetzt genieße er es, wenn Sitzungen erst gegen neun Uhr beginnen.
Vom Handreiniger zum Personalrat. 1979 kam Witt zur BSR – als Handreiniger bei der Straßenreinigung. Sein Einsatzgebiet war der Kiez rund um den Winterfeldtplatz. “Das war eine schöne, spannende Zeit”, sagt er. Damals waren die BSRler auf der Straße noch mit dem Besen unterwegs und nicht wie heutzutage mit einer kleinen Kehrmaschine. Zuvor hatte der gebürtige Weddinger eine Ausbildung als Brückenbauschlosser bei der Reichsbahn gemacht und dort acht Jahre lang gearbeitet. Als es für ihn bei der Reichsbahn nicht möglich war, den Meister zu machen, wechselte er zur BSR. Obwohl er sich immer für gewerkschaftliche Belange interessierte, war das für ihn während seiner Reichsbahnzeit kein Thema. Die Reichsbahn, ein Staatsunternehmen der DDR, betrieb seinerzeit auch die S-Bahn auf West-Berliner Gebiet. Ein Konstrukt, das so nur in der geteilten Stadt möglich war. Die dort aktive Gewerkschaft gehörte dem FDGB an, dem Gewerkschaftsbund der DDR, der streng auf Parteilinie war.
Erst ÖTV, dann Verdi. Bei der BSR engagierte sich Witt schon bald bei der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ÖTV, die im Jahr 2000 mit anderen Gewerkschaften zur großen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wurde. Die ÖTV war in den siebziger und achtziger Jahren ein mächtiger Faktor in den Berliner Eigenbetrieben. Ohne sie lief wenig. Witt selber wurde in den achtziger Jahren angesprochen, ob er nicht für den Personalrat kandidieren wolle. Er wollte. Ab 1992 war er dann freigestellt, um sich ganz der Personalvertretung widmen zu können. Orange trug er dann nur noch einmal im Jahr, wenn es im Herbst um die Laubbeseitigung ging. Da treten traditionsgemäß auch alle Arbeitnehmervertreter und der Vorstand an. “Zum Showfegen”, wie der langjährige Personalrat sagt. Ganz schön anstrengend sei das gewesen, wenn man so keine Übung mehr hatte.
Zwei Laienrichter pro Kammer. 1994 trat Witt auch in die SPD ein. In diesem Jahr begann sein ehrenamtliches Engagement im Arbeitsgericht. Auf Vorschlag des DGB wurde er zum ersten Mal berufen; das wiederholte sich alle fünf Jahre. Bei Verfahren am Arbeitsgericht sind neben dem hauptamtlichen Richter immer auch zwei Laienrichter aktiv – einer aus dem Bereich der Arbeitnehmerorganisationen, der andere kommt aus dem Arbeitgeberlager. Zu dritt muss die Kammer ihr Urteil finden. Beim Arbeitsgericht ist aber das Bestreben des Gerichts groß, einen Vergleich zu finden. Deswegen gibt’s auch vor der Verhandlung vor der Kammer einen so genannten Gütetermin.
Hört denn ein Volljurist sich auch die Meinungen der Laienrichter an? “Auf jeden Fall, vor allem Dingen, wenn man so lange im Geschäft ist und jahrzehntelange Erfahrungen hat”, sagt Witt. Für ihn war immer Sitzungstag an einem Freitag im Monat. Fünf bis acht Stunden habe er dafür aufwenden müssen. Hinzu kamen die Stunden beim Sozialgericht. Beim Landesarbeitsgericht erhalten die Laienrichter vor dem Termin die Unterlagen zur Vorbereitung; in der ersten Instanz beim Arbeitsgericht sollen sie sich ihr Urteil nur bei der Verhandlung bilden. Hin und wieder habe er bei Terminen den Eindruck gehabt, dass Anwälte schlecht vorbereitet waren. “Das tat mir weh, zu sehen, wenn Menschen schlecht beraten werden”, sagt Witt.
Ein anderer Bereich der ehrenamtlichen Aktivitäten. Das ist die Seniorenvertretung des Bezirks. Als amtierender Vorsitzender organisierte er nach dem Beginn der Pandemie, dass die Arbeit für die Belange der älteren Menschen nicht zum Stillstand kam. Einen Monat lang pausierte das 17-köpfige Gremium. Im April gab’s dann die erste Telefonkonferenz, an der allerdings nicht einmal die Hälfte der Mitglieder teilnahm. Außerdem lernten die Mitglieder bei einem Treffen im Rathaus, wie eine Videokonferenz funktioniert. Seit Juni aber tagt die Seniorenvertretung wieder im Kennedysaal im Rathaus Schöneberg. Als die wichtigsten Problemfelder in der Seniorenarbeit nennt Witt: Bewegung, Barrierefreiheit und öffentliche Toiletten. Alles drei Themen, bei denen immer wieder Beharrlichkeit und Engagement gefragt sind. Es gibt für Witt noch genügend zu tun.
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-s.kneist@tagesspiegel.de
+++ Das ist ein Ausschnitt aus unserem Newsletter Tempelhof-Schöneberg. Jeden Dienstag kostenlos: leute.tagesspiegel.de
+++ Die Themen der Woche:
- Es grünt so grün: So vermeidet man Konflikte beim Urban Gardening
- Wohnungen statt Parkhaus: Grundsteinlegung für Neubauten im Wohnpark Mariendorf
- Potse und kein Ende: Neuer Termin für Räumungsprozess
- Den Anwohnern zu laut: Streetballkorb in Schöneberg wurde abgebaut
- Planungen für den Ausbau des Gasometers: Die Sorgen der Anwohner