Nachbarschaft

Veröffentlicht am 08.12.2020 von Sigrid Kneist

Bernhard Riess, Organisator von Schachturnieren und Online-Schachabenden, TSV Mariendorf 1897

Kein Präsenzspiel. Die Bretter mit den 64 kleinen quadratischen Feldern können derzeit natürlich im Vereinsheim des TSV Mariendorf 1897, dem Kasino neben dem Freibad an der Rixdorfer Straße, nicht aufgestellt werden. Auch dort ist der Betrieb pandemiebedingt eingestellt. Auf das Training muss aber in der Schachabteilung des TSV Mariendorf 1897 nicht verzichtet werden. Die Mitglieder treffen sich jetzt online zum virtuellen Vereinsabend – stets mittwochabends ab 18 Uhr.

Organisiert hat das Ganze zum großen Teil der passionierte Schachspieler Bernhard Riess aus Tempelhof, der vor einigen Jahren in dem Verein die Schachabteilung mit aufbaute. Er war die treibende Kraft, dass trotz Corona gespielt werden kann. Schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr, als Treffen unmöglich waren, stellte er sich die Frage: „Wie schaffen wir es, die Mitglieder zu binden?“ Der 63-jährige Riess ist von Hause aus IT-Fachmann, inzwischen im Ruhestand. Mit anderen Mitgliedern arbeitete er daran, Online-Vereinsabende technisch und auch organisatorisch möglich zu machen. In den dreieinhalb bis vier Stunden am Mittwochabend wird jetzt also gespielt und trainiert. Aber die Mitglieder tauschen sich auch untereinander aus, wie sie es auch im Kasino machen würden. Dazu gehören regelmäßige Blitzschachturniere.

Ausgezeichnete Idee. Unter dem Motto „Schach dem Virus“ hatte der Deutsche Schachbund im Sommer einen Wettbewerb ausgeschrieben, bei dem sich Vereine mit ihren Konzepten für Online-Schachveranstaltungen bewerben konnten. Das Konzept des Mariendorfer Vereins überzeugte die Jury dermaßen, dass es den ersten Preis gewann. „Mit einer Kombination aus Vereins-Chat, Online-Training und Online-Turnieren konnte der Vereinsabend so gut wie möglich virtuell nachempfunden werden“, hieß es zur Begründung.

Für fünf Mark das erste Schachspiel. Das war Riess‘ Einstieg in den Sport mit zwölfeinhalb Jahren. Mit einem gebrauchten Schachbuch für eine Mark (umgerechnet 50 Cent) brachte er sich das Spielen selbst bei. 1984 gründete er in Lichterfelde in einer Gemeinde einen Kirchen-Schachclub. Jahrelang spielte er Schach vor allem bei Osram, wo er in der IT arbeitete. Der SV Osram, der viele Sportarten anbietet, wurde 1909 gegründet, und seine Schachabteilung gilt als ältester Betriebsschachverein.

Vielfältiges Engagement. In den neunziger Jahren begann Riess, Funktionen im Schachsport zu übernehmen. In der Schachszene wird sein Organisationstalent geschätzt. Für den Deutschen Schachbund leitet er Wettkämpfe überall in Deutschland, und im Firmenschach organisiert er Turniere in Berlin.

Keine Jugend, keine Frauen. Die Schachabteilung des TSV Mariendorf 1897 zählt inzwischen 36 Mitglieder und ist damit die zweitgrößte Untergliederung des Vereins, der vor allem für seine große Fußballabteilung bekannt ist. Jugendlicher Nachwuchs kann  dort allerdings nicht seine ersten Spielzüge ausprobieren. Dafür sei zum einen das Vereinsheim mit Kasinobetrieb und Alkoholausschank nicht geeignet; außerdem müsse man dann feste Trainer haben. Schach ist im Verein auch eine reine Männersache.

In vergangenen Jahren hätten zwar einige Frauen gespielt, den Verein dann aber aus unterschiedlichen Gründen wieder verlassen, sagt Riess: „Es ist sehr schwierig, Frauen ans Vereinsleben zu binden.“ Beim Schulschach im Grundschulalter sei das Verhältnis von Jungen und Mädchen fast ausgewogen; mit zunehmendem Alter nehme der Anteil der Mädchen ab, bis er nur noch einen Bruchteil ausmache. Vielleicht ändert daran ja etwas die Miniserie „Damengambit“, die derzeit auf Netflix zu sehen und ziemlich erfolgreich ist. Sie handelt von einem fiktiven weiblichen Schachgenie im Amerika der sechziger und siebziger Jahre, das gegen einen Großmeister aus der kommunistischen Sowjetunion antritt.
Foto: Privat

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