Nachbarschaft

Veröffentlicht am 23.02.2021 von Sigrid Kneist

Renate Ockel, Yogalehrerin, Schöneberg

Die großzügigen Räume sind bereit zur Übergabe. 32 Jahre lang hat Renate Ockel, 64 Jahre alt, in der Fabriketage in der Schöneberger Akazienstraße Yoga unterrichtet. Im großen Saal – 85 Quadratmeter – hängen noch die gelben Lampen an der Wand, die – obwohl mit Neonröhren beleuchtet – ein warmes Licht verbreiten. Der kleinere Übungssaal misst übrigens immerhin 75 Quadratmeter. Jetzt zog das im dritten Stock des Seitenflügels gelegene „Yogazentrum Akazienhof” aus. Zuvor wurde noch einmal mit einer Onlineparty Abschied gefeiert. Viele Yogaschülerinnen und -schüler aus den langen Jahren schalteten sich von ihren heimischen Computern aus dazu.

Ockels Mietvertrag läuft aus. Hätte sie verlängern wollen, müsste sie jetzt ein Vielfaches der bisherigen Miete aufbringen. Bisher zahlte sie acht Euro warm für den Quadratmeter. Der Eigentümer, ein Immobilienfonds, verlange nun 18 bis 20 Euro – kalt -, sagt Ockel. Mit einem Yogastudio kaum zu erwirtschaften. Persönlich hadert sie nicht; für sie schließt sich nun dieses Kapitel: “Jetzt bin ich frei für etwas Neues.”

Sorge um den Akazienkiez. Die Gegend ist nach wie vor wegen einer guten Mischung von alt eingesessenen kleinen Geschäften, Kneipen und Restaurants beliebt. Und Verdrängungstendenzen, wie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, sind auch hier inzwischen unübersehbar. Aber: “Die ganzen Familien, die hier wohnen, werden es sich nicht leisten können, ihre Wohnungen zu kaufen”, sagt Ockel. Und finanzkräftig muss auch der sein, der die hohe Miete für ihre Räume zahlen wird. Wer diese übernehmen wird, weiß sie nicht.

Stundenlang im Schneidersitz. Beim Interviewtermin in der vergangenen Woche gibt es im Studio keine Stühle mehr. Ockel, deren Haltung die jahrzehntelange Yogapraxis ausstrahlt, setzt sich für das Gespräch im Schneidersitz auf den Boden des hellen Saales und hat keine Mühe, in dieser Position länger als anderthalb Stunden kerzengerade sitzen zu bleiben. Wenn sie zwischendrin kurz aufsteht, macht sie das mit Leichtigkeit. Andere müssten nach dieser Zeit erst einmal die Beine lockern, ausschütteln.

Erst Psychologie, dann Yoga. 1976 kam Ockel zum Psychologiestudium von Hannover nach Berlin. Yoga entdeckte sie Anfang der achtziger Jahre eher zufällig. Sie suchte etwas, das sie gegen Rückenschmerzen machen konnte, und stieß in der einstigen West-Berliner Traditionsbuchhandlung Kiepert auf ein Buch. “Yoga für Jeden“ . Damit unterrichtete sie sich selber. Und es half gegen die Rückenschmerzen. „Die Yogaszene in Berlin war damals überschaubar und sehr esoterisch, sektenhaft”, sagt Ockel. Nicht ihr Fall. Aber an Yoga blieb sie dran. 1987 entschied sie sich, in San Francisco eine einjährige Ausbildung zur Yogalehrerin zu machen – nach der Methode von B. K. S. Iyengar, einem der führenden Yogalehrer aus dem indischen Pune. 1988 kam sie nach Berlin zurück. Iyengar bot eine Yogaausrichtung, die ihr wegen der Klarheit und der Genauigkeit in der Ausführung sehr entgegen kam. Mit der in der Yoga-Community immer wieder anzutreffenden Verehrung für die Yogameister als Gurus kann Ockel dagegen nichts anfangen. Ebensowenig mit den dadurch entstehenden hierarchischen Strukturen. “Das ist auch irgendwie unyogisch”, sagt Ockel. 

Mietvertrag voll ausgeschöpft. Die Fabriketage hatte damals das spirituell angehauchte Zentrum “Zeitlos” gemietet; dort konnte Ockel Yogaklassen anbieten. 2003 übernahm sie dann die gesamten Räume und richtete ihr „Yogazentrum Akazienhof” ein. Der Mietvertrag lief zunächst über sechs Jahre und beinhaltete vier Mal eine weitere Option für je drei Jahre. Die schöpfte sie letztlich komplett bis zu diesem Monat aus. Während sie bis dahin nur sechs Kurse in der Woche gegeben hatte, wurde der Umfang der Kurse dann ausgeweitet. Ockel setzte auf die Zusammenarbeit mit einem Team; gemeinsam boten sie und die anderen Yogalehrer 30 Kurse wöchentlich an. Bereits in den neunziger Jahren hatte Yoga in der öffentlichen Wahrnehmung enorm an Beachtung gefunden. “Es stand inzwischen in jeder Brigitte”, sagt Ockel. Der Zulauf sei damals groß gewesen.

Online während des Lockdowns. Viele ihrer Schülerinnen und Schüler kommen schon jahrelang, teilweise jahrzehntelang. Und das ist Ockel auch wichtig. Von Studiohopping, wie es heute über Sport-Apps wie „Urban Sports“ möglich ist und besonders von Jüngeren praktiziert wird, hält sie nichts. Sie mag es, ihre Schülerinnen und Schüler, deren Probleme oder Stärken zu kennen. Das bewährt sich jetzt auch im Lockdown, während dem im Yogazentrum natürlich kein Präsenzunterricht stattfinden kann. Ockel – wie auch ihr Team – unterrichtet online. Auch beim Zoom-Kurs weiß sie, wie sie individuell Hilfestellung geben kann. Online-Unterricht will Ockel vorerst weiter geben. Dazu braucht sie das Studio nicht, das geht auch von zu Hause.

Foto: faces by frank

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