Nachbarschaft

Veröffentlicht am 01.06.2021 von Sigrid Kneist

Susanne Meier, Schöneberg, Teilnehmerin der Umparkerkampagne 2020

Der Versuch. Der rote VW Passat der fünfköpfigen Familie war schon arg in die Jahre gekommen – nur noch eine Frage der Zeit, wie lange er noch durchhalten würde. Da passte es gut, dass Susanne Meier und ihr Mann im vergangenen Sommer von einem Verkehrsprojekt des Bezirks lasen. Es hieß „Umparkerkampagne“ und wandte sich an Menschen, die in Nord-Schöneberg wohnten und die einmal ausprobieren wollten, für einige Wochen auf ihr Auto zu verzichten. Zum Ausgleich erhielten sie Gutscheine für Bus und Bahn und auch für sogenannte Sharingangebote – Fahrräder, Elektroroller oder Autos. Die beiden trafen dann relativ kurzfristig die Entscheidung: „Da machen wir mit“, erzählt mir Susanne Meier, die mit ihrem Mann, den elfjährigen Zwillingen und der fünf Jahre alten Tochter in der Nähe des Nollendorfplatzes lebt.

Das Auto blieb stehen. Zu Beginn des Projekts im September gaben sie den Autoschlüssel bei den Projektmitarbeitern ab; der Kilometerstand wurde notiert. Damit hätte überprüft werden können, ob der Wagen nicht doch genutzt wurde. Und die Familie habe schnell festgestellt, dass sie das Auto in der Innenstadt eigentlich gar nicht brauchte, sagt Meier. „Wir haben hier  vier U-Bahn-Linien und jede Menge Busse, die in alle Richtungen fahren.“

Mobil bleiben. Auf Leihräder musste die Familie nicht ausweichen; sie hat ihre eigenen Räder. Auch die Elektroroller kamen für sie als Familie nicht in Frage; das wäre unpraktikabel gewesen. Aber Tickets für Bus und Bahn konnten die Meiers nutzen. Und das Angebot des Car-Sharings erwies sich beispielsweise während eines BVG-Streiks im vergangenen Jahr als hilfreich. Für Ausflüge nutze die Familie jetzt mehr die S-Bahn. „Ohne Auto zu sein, hatte schon Einfluss auf unser Freizeitverhalten“, sagt Meier. Mit anderen Teilnehmern gab es regelmäßige Gesprächsrunden, in denen man sich über die jeweiligen Erfahrungen austauschen konnte. Wie nutzt man welche App? Welche Sharingangebote gibt es? „Wir haben das Auto nicht vermisst“, sagt Meier.

Wie ist die Familie jetzt unterwegs? Tatsächlich hat sie kein eigenes Auto mehr. Der rote VW gab vor einigen Wochen den Geist auf, musste abgeschleppt werden. Eine Reparatur hätte sich nicht mehr gelohnt. „Wir wollen es jetzt mal ausprobieren, kein Auto mehr zu haben“, sagt Susanne Meier. Ihr Mann fahre ohnehin mit dem Fahrrad zur Arbeit. Sie habe sonst die BVG genutzt, sei aber derzeit in Elternzeit. Die Zwillinge sind eigenständig ebenfalls mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Oder mit dem Fahrrad – aber das nur auf eingeübten Wegen, wie ihre Mutter sagt. Denn viele Straßen seien einfach zu gefährlich, da fahre selbst sie nicht gerne Rad.

Ab und an ein Auto leihen. Es bleibt außerdem immer die Möglichkeit, sich über eine App ein Auto über Car-Sharing zu leihen, wenn man mal einen Ausflug unternimmt und Sportausrüstung dabei hat oder wenn die Kinder am Abend nach einem langen Tag des Unterwegsseins müde sind. Auch für den Sommerurlaub wird das eigene Fahrzeug nicht benötigt. „Die Zugtickets für eine Woche an der Nordsee in Büsum sind schon gekauft“, sagt Meier. Im vergangenen Jahr  sind die fünf noch mit dem Auto hingefahren. „Aber wir haben es dort überhaupt nicht gebraucht.“

Umparkerkampagne geht wieder los. Wer in Nord-Schöneberg wohnt und überlegt, sein Auto abzuschaffen, kann es jetzt im Rahmen des Projekts für vier Wochen ausprobieren. Eigentlich beginnt es an diesem Dienstag; Kurzentschlossene können aber auch ein paar Tage später anfangen. Insgesamt 30 Haushalte können daran teilnehmen. Infos gibt es auf kiezerfahren.berlin.
Foto: Privat

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