Nachbarschaft
Veröffentlicht am 31.08.2021 von Judith Langowski
Sie war die „wohl prominenteste Vertreterin der Schwarzen Community in Deutschland“ schreibt die promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Natasha A. Kelly im Digitalen Deutschen Frauenarchiv über May Ayim, deutsch-ghanaische Dichterin und Aktivistin (1960-1996). Ayims Verdienst im Einsatz gegen Rassismus und für die Schwarze (Frauen-)Bewegung in Deutschland könnte mit einem Ehrengrab gewürdigt werden. Einen Beschluss dazu fasste die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am vergangenen Mittwoch, gegen die Stimmen der CDU und AfD.
Senatsbeschluss notwendig. Wie der Antrag der Grünen formuliert, soll sich der Berliner Senat dafür einsetzen, dass das Grab der Dichterin auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg als Ehrengrab gewidmet wird. Erst nach einem Senatsbeschlusses kann ein Grab zum Ehrengrab werden und der Prozess kann Jahre dauern. „Die Ernennung zur Ehrengrabstätte für Persönlichkeiten mit besonderen Verdiensten erfolgt durch Senatsbeschluss frühestens fünf Jahre nach dem Tod für einen Zeitraum von zunächst 20 Jahren“, heißt es auf der Webseite der Senatskanzlei.
Keine Einzelerfahrung. May Ayim wurde in Hamburg geboren, die Mutter Deutsche, der Vater ein Austauschstudent aus Ghana. Sie wuchs allerdings nicht bei ihren leiblichen Eltern auf, sondern wurde im Alter von 18 Monaten von einer weißen Familie in Münster adoptiert. Das Gefühl „anders“ zu sein, begleitete sie seit ihrer Kindheit. „Inzwischen ist mir klar, dass dies keine Einzelerfahrung ist und mein Erleben exemplarisch den Umgang mit einer Bevölkerungsgruppe widerspiegelt, die im Bewusstsein weiter Teile der deutschen Gesellschaft einfach nicht existent ist“, zitiert Natasha Kelly sie aus dem nach Ayims Tod herausgegeben Band „Grenzenlos und unverschämt“.
Eine Stimme gegeben. In einem Tagesspiegel-Artikel über ihre Idole nennt die Soul-Sängerin Joy Denalane auch Ayim als Vorbild: „May Ayim hat die Erlebnisse mit Rassismus so zu verbalisieren verstanden, wie viele Afrodeutsche ihn hier erfahren. Ich habe über die Jahre den Eindruck gewonnen, dass viele Leute glauben, ich sei zu sensibel oder übertreibe, wenn ich über unangenehme Begegnungen spreche, die damit zu tun haben, wie ich aussehe. Da ist es wunderbar, jemanden wie Ayim zu lesen, die uns eine Stimme gegeben hat.“
Lorde und Ayim. In den Achtzigern gelangte Ayim nach einem Studium der Pädagogik in Regensburg nach West-Berlin und fand Gemeinschaft mit anderen Schwarzen Frauen. Gemeinsam thematisierten sie im Band „Farbe bekennen“ (1986) ihre Geschichte und Gegenwart. Ayim war ebenfalls Gründungsmitglied der Initiative „Schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland“. Im Austausch mit der US-amerikanischen Autorin Audre Lorde, die in den 80er Jahren Zeit in Berlin verbrachte, entwickelten May Ayim und Mitstreiter*innen die Selbstbenennung „Afrodeutsch“ – analog zu „Afro-Amerikanisch“.
Deutschland im Herbst. „In ihrer Lyrik setzte sie sich mit dem zunehmenden Rassismus und Nationalismus in den 1990er Jahren in Deutschland auseinander und bezog klar Position“, heißt es im Antrag der Grünen. In ihrem Gedicht „deutschland im herbst“ (1992) zieht Ayim eine Linie von der Kristallnacht bis zur Ermordung des Angolaners Amadeu Antonio in Eberswalde 1990 und summiert: „es ist nicht wahr/ daß es nicht wahr ist / so war es / so ist es:/ deutschland im herbst/ mir graut vor dem winter“.
25. Todestag. Ayim litt „unter großen körperlichen und psychischen Belastungen“, schreibt Kelly. Nach einer Diagnose der Multiplen Sklerose sprang sie vom 14. Stockwerk eines Kreuzberger Hochhauses. Am 9. August 2021 jährte sich Ayims Todestag zum 25. Mal. Das Gröben-Ufer in Kreuzberg wurde 2010 in May-Ayim-Ufer umbenannt – eine nicht unumstrittene Entscheidung.
- Foto: Orlanda Verlag
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