Nachbarschaft
Veröffentlicht am 14.09.2021 von Sigrid Kneist

Christoph Hagemann, Kirchenmusiker, bisher Schöneberg, jetzt Wittenberg
Unterschiedlicher können Arbeitsorte eigentlich nicht sein. Der Kantor Christoph Hagemann wechselt von Schöneberg nach Wittenberg. Von der Kirche in einem problembeladenen Berliner City-Kiez zur Wiege der Reformation. Seine Tätigkeit dort hat er schon begonnen. Seit 2005 war Hagemann Kantor in Schöneberg – in der Zwölf-Apostel-Kirche und der Königin-Luise-Gedächtniskirche. Als er begann, studierte er noch Kirchenmusik an der Universität der Künste. Zwei Jahre zuvor war er deshalb aus der kleinen Stadt Thalheim im Erzgebirge nach Berlin gekommen. Umzüge, die große Veränderungen mit sich bringen, sind ihm daher nicht neu.
Eine große Kantorei. In Schöneberg war Hagemann ein erfolgreicher Kirchenmusiker. Der Chor in der Zwölf-Apostel-Kirche zählte vor Corona rund 80 Mitglieder und hatte einen Ruf über die Gemeinde hinaus. Musikalische Arbeit mit Kindern war an diesem Ort jedoch kaum möglich. Die Kirche liegt mitten im Straßenstrich der Kurfürstenstraße; Eltern hätten deswegen ihre Kinder nicht dorthin geschickt. Aber Hagemann hatte mit der Königin-Luise-Gedächtniskirche, dem Rundbau auf der Roten Insel, ein zweites Standbein. Dort hat er Kinderchöre betreuen können. Hagemann war es jedoch auch wichtig, gerade im sozial belasteten Kiez an der Kurfürstenstraße mit seiner Kirchenmusik kulturelle Angebote zu machen und somit einen Kontrapunkt zu setzen. „Das prägt auch das bürgerschaftliche Miteinander“, sagt Hagemann.
Für die Zwölf-Apostel-Gemeinde ist die direkte Nähe zum Straßenstrich auch ein Auftrag; sie hat Angebote für die Prostituierten, von denen viele drogenabhängig sind. Seit 20 Jahren gibt es die Mittwochs-Initiative. Zwischen 19 und 22 Uhr können die Prostituierten im Gemeindehaus essen, in der Kleiderkammer Anziehsachen finden und gebrauchte Spritzen gegen neue sterile tauschen.
Nach 16 Jahren in Schöneberg war für Hagemann indes die Zeit gekommen „für frischen Wind in meinem Leben, aber auch im Leben meines Arbeitgebers“, sagt Hagemann. Hinzu kam es, dass es für ihn und seine Familie ein Ding der Unmöglichkeit war, in der Berliner Innenstadt eine angemessen große Wohnung zu einem bezahlbaren Preis zu finden. Und als sich die Möglichkeit ergab, nach Wittenberg an die historische Stadtkirche zu wechseln, passte es. In der Kirche mit den zwei markanten Türmen predigte einst Martin Luther. Hier wurde der Grundstock für Gottesdienste in deutscher Sprache gelegt; auch das Abendmahl mit Brot und Wein wurde hier zuerst ausgeteilt. Und das evangelische Kirchenlied für den Gesang der Gemeinde hat hier seinen Ursprung; es hat seine Bedeutung nicht verloren ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Gottesdiensts. „Es zeigt auch, dass wir gemeinsam einen Gottesdienst feiern“, sagt Hagemann. Während der Pandemie mussten die Gemeinden, auch als sie Präsenzgottesdienste feiern konnten, allerdings lange aufs Singen verzichten. Inzwischen ist dies wieder möglich, allerdings nur mit Maske.
„Die kleinste Weltstadt der Welt.“ So nennt der 38-Jährige die Lutherstadt. Die Schlosskirche, an der Luther am 31. Oktober im Jahr 1517 seine 95 Thesen anschlug und damit die Reformation auslöste, liegt nur wenige hundert Meter von der Stadtkirche entfernt. Wegen ihrer religionsgeschichtlichen Bedeutung kommen viele Besucher nach Wittenberg – Touristen und Theologen aus aller Welt. Auch wenn die Stadt an der Elbe, die etwas mehr als 100 Kilometer von Berlin entfernt ist, nur gut 45.000 Einwohner zählt, hat sie deshalb durchaus ein internationales Flair. Eine schöne, gut gelegene, bezahlbare Wohnung war dort übrigens gut zu finden.
Verabschiedung. Am Sonntag, 19. September, findet um 15 Uhr vor der Zwölf-Apostel-Kirche ein Gottesdienst statt, um Christoph Hagemann zu verabschieden. zwoelf-apostel-berlin.de –Foto: Calle Overweg
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