Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.12.2021 von Lotte Buschenhagen

Eigentlich hat Margot Schlönzke mal Biotechnologie studiert – heute geht sie auf den Varieté-Bühnen Berlins ein und aus. Derzeit ist die Schöneberger Dragqueen auf der Christmas Avenue am Nollendorfplatz und in der Weihnachtsshow der „Incognito“-Bar zu bewundern: Wie sich die Dragszene der Hauptstadt verändert – und, was es mit ihrem Namen auf sich hat –, verrät die Travestiedarsteller*in im Tagesspiegel-Interview.

In deiner Streaming-Show „Koch-Talk“ schwingst du mit einem prominenten Gast nach dem anderen den Kochlöffel. Mit wem würdest du gern einmal an den Herd treten – und was steht dann wohl auf dem Menü? Garantiert kein Salat! Lecker und deftig darf es sein. Und völlig gegen den Mainstream – eine Kochshow ist auch für mich ein seltenes Ereignis – darf es auch gerne Fleisch geben. Muss nicht, aber darf! Es gibt ein paar Leute, die auf meiner Wunschliste stehen: Georgette Dee wäre großartig! Und Gayle Tufts: Die ist natürlich gut gebucht und viel unterwegs. Außerdem noch Daphne Deluxe, die finde ich auch sensationell – und sie ist ja außerdem fürs Kochen prädestiniert! Eine sehr gestandene, mondäne Persönlichkeit. Der „Koch-Talk“ kommt aber erst am 6. März wieder, dann aus dem „Incognito“ und vor Livepublikum.

Margot, warum heißt du eigentlich so, wie du heißt? Ich habe Ende der Achtziger Jahre eine Schülerkolumne geschrieben – aus Sicht einer älteren, fiktiven Lehrerin. Der Name sollte vertraut deutsch nah klingen und zugleich nichts Reelles sein. Beim Buchstabenwirrwarr bin ich auf „Schlönzke“ gestoßen und habe mir den Namen zu eigen gemacht. Margot heiße ich, weil man an dem Vornamen ungefähr eine Generation abschätzen kann – auch wenn der Name in meiner nicht mehr vertreten ist! (lacht) Auf dem Papier gibt es Margot also seit ’89. Kontinuierlich so in dieser Gestalt dann seit 2002.

Heute bist du eine der bekanntesten Dragqueens Berlins. Wie hat sich die Berliner Dragszene seit deinen ersten Auftritten verändert? Bist du immer noch die Margot von 2002? Ja und nein! Erst einmal: Als ich angefangen habe, da hieß die Dragszene noch gar nicht „Dragszene“ – „Tuntenszene“, haben wir damals gesagt. Ich war viel in Kreuzberg unterwegs, in der „Kreuzberger Hinterhof-Travestie“ wie es so schön hieß. Da habe ich sehr viel gelernt über Humor, über Selbstironie – das ist grundlegend für jede Kollegin, die heute irgendwie etwas werden möchte. Auch das Optische hat sich natürlich verändert: Damals war klar, es konnte gar nicht genügend Männlichkeit zu sehen sein, die aus dieser weiblichen Figur herausstrahlt. Der Bart war da gang und gäbe, die behaarten Beine auch. Strumpfhosen mussten nicht unbedingt sein – bei mir schon, ich habe auch keinen Bart getragen. Irgendwann habe ich dann aber ein paar Tricks und Kniffe aus dem Makeup der Drag-Szene übernommen, zum Beispiel, die Augenbrauen abzukleben. Das hat mich durchaus verändert!

Und die Klamotten? Früher war es so, dass man eher die alten abgetragenen Kleider von Oma und der verstorbenen Tante getragen hatte. Und auch gerne die abgetragenen Frisuren! Da bin ich irgendwie noch geblieben (lacht). Die Originalperücke ist wirklich noch von meiner Großmutter. Ich habe mir im Laufe der Zeit aber neue machen lassen, denn die alte fällt wirklich auseinander. Ich habe sie glaube ich wesentlich häufiger getragen als sie meine Oma jemals in ihrem Leben! Und dann auch noch diese anspruchsvollen Situationen auf der Bühne, wo man tanzt, moderiert und schwitzt – das tut den Haaren nicht gut. Ich habe mir einige Kniffe der Dragcommunity angeeignet. Wenn mich heute jemand als Drag bezeichnet, habe ich nichts dagegen – meine Definition sehe ich aber nach wie vor als Tunte. Oft sage ich auch Travestiedarsteller bzw. Darsteller*in. Um das auf die Spitze zu treiben, gibt es für mich als Eigendefinition „Damendarstellerimitator*in“. Mit Gendersternchen. Um es möglichst lang und kompliziert zu machen – mit dem Wort gewinnt man jedes Scrabble!

Was würdest du kleinen – und großen – Schöneberger*innen raten, die deine Shows sehen und denken: „Das will ich auch“? Sich von anderen inspirieren lassen! Dranbleiben, hartnäckig bleiben, üben, üben, üben. Aber: Den eigenen Weg gehen. Nicht zu einer Kopie von jemandem werden, denn die Leute gucken in der Regel lieber das Original.

Seit Sommer 2020 moderierst du gemeinsam mit Julian F.M. Stoeckel und Jurassica Parka die Call-in-Show „Ruf! Uns! An!“. Wie ist es zu dieser Idee gekommen? Das war eine Lockdown-Geburt, wir durften ja nirgendwo mehr auftreten. Ich dachte mir, die Leute wollen irgendwie Kultur haben, etwas erleben, wollen sich nicht den ganzen Tag nur mit RTL2 berieseln lassen. Die Interaktion miteinander fehlte: Deshalb habe ich gesagt, lass uns doch eine Call-in-Show machen. Da können die Leute ihr Herz ausschütten. So hatten wir ein kleines Highlight am Tag.

Gibt es eine Person, die dir als Anrufer*in besonders in Erinnerung geblieben ist? Ein Mensch hat uns angerufen, der hatte nochmal nachgehakt, ob er wirklich über alles mit uns reden kann. Natürlich konnte er das. Dann hat er uns erzählt, dass er jetzt zum zweiten Mal in seinem Leben eine Krebsdiagnose bekommen hatte. Dass es Prostatakrebs war. Und, dass ihm die Ärzte ein halbes bis ganzes Jahr gegeben haben. Das war natürlich ein Schock für uns. Wir haben mit ihm dann über seine Probleme gesprochen: Prostatakrebs auf der einen Seite und auf der anderen die Kontaktbeschränkungen. Die Frage war auch, ob er es seinen Freunden erzählen konnte, die hatten die Geschichte ja schon einmal mit ihm durch. Wir haben ihm gesagt: Das ist jetzt deine Zeit, nutz die für dich, mach, was du machen willst. Und, dass er ganz egoistisch sein soll – die nächsten Monate sind seine Monate und da soll er das Beste daraus machen. Irgendwann bekam ich dann eine Mail, dass er mittlerweile verstorben sei, und da lägen Briefe. Einer ging an uns. Er hat uns geschrieben, dass wir ihm nochmal für seine letzten Lebensmonate Mut zugesprochen haben, dass er nochmal Lebenswillen daraus ziehen konnte und dass er ein paar schöne Monate entspannt und gut leben konnte. Dafür wollte er sich nochmal bei uns bedanken. Der anderen Moderatorin habe ich den Brief dann geschickt und gesagt, den musst du dir in Ruhe durchlesen, wenn du auf einem Stuhl sitzt, weil das geht ans Herz. Das ist natürlich sehr hängengeblieben.

In den letzten zwei Jahren hast du gestreamt und gepodcastet, was das Zeug hält – auch, weil du viel zu lange von der Bühne fernbleiben musstest. Was meinst du, wie wirst du eines Tages auf die Coronazeit blicken? Ich glaube, wir werden mit verschiedenen Emotionen darauf zurückgucken. Einerseits hat diese Zeit wirklich mein Maximum gefordert, aber im Gegensatz zu manchen anderen Kolleginnen habe ich mich nicht unterkriegen lassen. Ich habe durchgehalten – ich glaube, auch aufgrund meiner Streamingideen. Wir werden auch mit einem lachenden Auge zurückgucken, weil wir sagen können: Wir haben diese Krise echt überstanden, das hoffe ich zumindest. Wir werden aber auch mit ein bisschen Wut zurückgucken auf Fehlentscheidungen, auf Leute, die sich ungünstig verhalten haben da draußen, weil sie an Pandemien nicht glauben und die Situation nicht verstehen. Wir werden auf die mangelnde Aufklärung mit Magengrummeln zurückblicken und wissen: Das muss beim nächsten Mal einfach besser werden, denn die nächste Pandemie kommt. Um meine Beharrlichkeit da besser zu verstehen: Erst vor ein paar Jahren haben wir Medikamente für die letzte Pandemie bekommen, nämlich HIV. Das heißt, wir haben es endlich geschafft, diese Krankheit einzudämmen – und kaum haben wir das ein paar Jahre, kommt auf einmal ein anderes Virus daher.

Mit einer Weihnachtsshow nach der anderen verabschiedest du dich aus diesem Jahr. Was wünschst du dir für 2022? Beständigkeit, Planungssicherheit, Gesundheit! Dass wir irgendwann endlich mal mit einem grünen Bleistift einen Haken hinter die Pandemie setzen können. Ganz vorbei wird es nicht sein, sie wird uns ein Leben lang begleiten. Aber: Ich wünsche mir, dass wir irgendwann nicht mehr Diskussionen führen müssen, wo haben wir 2G, 2Gplus, 2Gplus-plus. Deshalb lasst euch impfen, Leute. – Foto: Margot Schlönzke

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