Nachbarschaft
Veröffentlicht am 19.04.2022 von Sigrid Kneist

Andreas Fischer, Fotograf, Filmemacher, Autor, Friedenau
So wie in trostlos. Wenn man Andreas Fischer fragt, ob das „I“ im Namen seiner Heimatstadt Troisdorf ein rheinisches Dehnungs-„I“ sei und der Name deswegen mit langem „O“ gesprochen werde, antwortet er: „Sprechen Sie es mit „O“ wie in trostlos.“ Ob Troisdorf jetzt aber auch trostlos sei, stellt er dahin. Das würde er offiziell nie sagen, lediglich, dass das rechtsrheinisch zwischen Köln und Bonn gelegene Troisdorf eine nicht besonders ansehnliche, von Industrie geprägte Stadt sei. Auf jeden Fall hat er Troisdorf zumindest als Wohnort hinter sich gelassen und sich bei seinem ersten Besuch in den achtziger Jahre auf der Stelle in Berlin verliebt. Freunde lebten in einer großen WG in Moabit. Dort fühlte er sich sofort wohl. Heute sagt er: „Ich bin aus überzeugtem Herzen Berliner.“
Neue Heimat Friedenau. 1987 zog der 1961 geborene Fischer nach Berlin, um sein in Köln begonnenes Studium der Filmwissenschaft, Ethnologie und Psychologie hier fortzusetzen. Zuvor hatte er bereits eine Fotografenlehre absolviert. Schon nach gut einem halben Jahr in Berlin landete er in Friedenau, wo er bis heute lebt und die dortige Ruhe und Gelassenheit liebt. Zum Arbeiten ist es ihm aber mitunter ein bisschen zu ruhig, deswegen hat er ein Büro zum Schreiben in Prenzlauer Berg. Dort leben auch die meisten seiner Freunde. In den heißen Sommern der vergangenen Jahre wusste er aber Friedenau ganz besonders zu schätzen; dort sei es immer ein bisschen kühler gewesen als in Prenzlauer Berg.
In seinen ersten Jahren in Berlin – die Mauer stand dann noch zwei Jahre – mochte er die Inselmentalität der Stadt. “ Und „lauter Bekloppte aus den kleinen Städten“ so wie er selber seien dort hingezogen, hätten sich verwirklichen und nach ihren Vorstellungen leben können. Seien der Enge und der Engstirnigkeit ihrer provinziellen Heimatstädte entkommen. „Ich war richtig geflasht“, sagt Fischer. Auch er hatte erlebt, auf welche Grenzen und Vorurteile man in der Heimat stoßen konnte, wenn man nicht ganz so angepasst und den bürgerlichen Normen entsprechend leben wollte. Nach dem Abitur machte Fischer Zivildienst in der ambulanten Pflege. „Ich hatte lange Haare, Stirnband um den Kopf und trug Flickenjeans.“ Manche Patienten – so um den Jahrgang 1900 herum – hätten ihn beschimpft und gar nicht erst ins Haus lassen mögen. Was hatten diese Männer erlebt? Wie waren sie von Nazizeit und Krieg geprägt, waren sie einst Nazis, waren sie Täter? In den Jahren zwischen 33 und 45 waren diese Alten zwischen 30 und 50 Jahre alt, sozusagen im besten Mannesalter.
In seiner eigenen Familie hatte er in seiner Kindheit und Jugend in den sechziger und siebziger Jahren das Schweigen über diese deutschen Schicksalsjahre erlebt. Seine Eltern hatten ein gut gehendes Fotoatelier in Troisdorf. Aber was verbarg sich hinter der gutbürgerlichen Fassade? In der Stadt waren seinerzeit längst noch nicht alle Trümmer aus dem Zweiten Weltkrieg weggeräumt. Aber geredet wurde nicht darüber, was diese Generation erlebt und gemacht hatte. Welche Traumata hatte der Krieg in den deutschen Familien überhaupt hinterlassen? Dieser Frage ist Fischer ist immer wieder nachgegangen, etwa in den Dokumentarfilmen „Söhne ohne Väter“ oder „Der Hamburger Feuersturm“.
Was ist mit den Eltern und den Großeltern? Die Frage beschäftigte ihn natürlich auch. Und diese ist er jetzt in seinem Buch „Die Königin von Troisdorf – Wie der Endsieg ausblieb“ angegangen. Dieser „Kriegsenkelroman“, wie es auf dem Buchcover heißt, beschäftigt sich mit den drei Generationen der Familie – die seiner Großeltern, Eltern und seiner eigenen. Es ist eine Collage aus persönlich Erlebtem, existierenden Briefen und Dokumenten sowie einer romanhaften Erzählung, wenn es um längst Vergangenes geht.
Ein eigener Verlag. Vor einigen Wochen hat Fischer das erste Mal aus dem Buch in der Friedenauer Buchhandlung Zauberberg gelesen. Für den Roman hatte der Autor zunächst keinen Verlag gefunden. Da er das Projekt nicht aufgeben wollte, hat er selbst einen gegründet. Er heißt Eschen 4. So wie die Straße, in der er seit gut 30 Jahren lebt.
- Angaben zum Buch finden Sie hier: https://www.eschen4.de/
- Foto: Isabelle Höpfner
- Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-s.kneist@tagesspiegel.de