Nachbarschaft
Veröffentlicht am 23.05.2023 von Sigrid Kneist

Anja Wrede, Tempelhof, Spieleentwicklerin
Wer Anja Wredes Wohnung in einer ruhigen Tempelhofer Seitenstraße betritt, weiß schnell, worum es hier geht. In den hohen Holzregalen sind aberdutzende bunte Holzkartons gestapelt. Kinder, die noch nicht den Verlockungen von Smartphone und Tablet verfallen sind, können sich in einem Paradies wähnen. In einem Spieleparadies. Anja Wrede spielt aber nicht einfach nur gerne; sie entwickelt die Spiele. Erschafft die Aufgaben, kreiert die Figuren, konzipiert Pläne, gestaltet Karten. Und das macht die 54-Jährige bereits seit knapp 30 Jahren. Mehr als 100 Spiele für alle bedeutenden Spielverlage in Deutschland und in vielen anderen Ländern hat sie in dieser Zeit geschaffen.
Schildkröten und Esel. Schon während ihres Studiums der Erziehungswissenschaften an der Universität Braunschweig begann sie sich dafür zu interessieren. Einer der Professoren war Spielzeugforscher und bespielte damit in der Pädagogik eher ein Nischenfeld. 1994 machte Wrede ein Praktikum beim renommierten Spieleverlag Haba, der in der Nähe von Coburg in Oberfranken ansässig ist und vor allem für qualitativ hochwertige Spiele bekannt ist. Sie erhielt die Aufgabe, sich an der Entwicklung eines Spieles zu versuchen. Und tatsächlich schafften es zwei auch in die Verkaufsregale: Bei „Kribbel-Krabbel“ müssen Spielerinnen und Spieler ihre kleinen Holzschildkröten ordentlich mit Salat und Tomaten versorgen, bei „Hopp Galopp“ werden Eselchen beladen und auf den Weg geschickt.
Die erste Anstellung. „Das war ein schöner Einstieg“, sagt Wrede. Bei Haba erhielt sie anschließend eine Festanstellung. Wrede, die aus einem kleinen Ort in Niedersachsen stammt, zog nach Oberfranken, arbeitete bis zum Jahr 2000 in dem bereits 1937 gegründeten Spieleverlag vor allem als Lektorin, indem sie „Ideen von außen“ betreute. Dann aber wollte Wrede wieder ihre eigenen Ideen entwickeln, selber gestalten. 2008 zog sie nach Berlin und gründete mit einer Kollegin und Freundin einen eigenen Verlag, die „Edition Siebenschläfer“, den sie auch nach dem Ausstieg der Partnerin bis 2020 weiterführte.
Klopfen und Raten. Dort schuf sie das Spiel „Karla Kuchenfee“, das auch einen durchaus pädagogischen Charakter hat und zur Sprachförderung und Schreibvorbereitung dient. Logopäden nutzen es gerne; von ihnen erhielt sie Anregungen, das Spiel zu verbessern. Dabei geht es darum, die Silben einzelner Begriffe, die auf Karten gemalt sind, mit einem Kochlöffel zu klopfen. Die Mitspieler müssen anhand der Zahl der geklopften Silben erraten, um welche Begriffe es sich handelt.
In alle Welt. Das Spiel erschien zunächst in der Edition Siebenschläfer. Es fand aber auch Gefallen bei Verlagen in vielen anderen Ländern, in Frankreich beispielsweise, in Japan oder Korea. In China ebenfalls – aber dort kaufte man nicht ihre Idee, sondern plagiierte sie. Ziemlich gut sogar, sodass man das Spiel fast für eine Lizenzausgabe halten kann. Das ärgert Wrede schon, aber gleichzeitig ist ihr klar, dass sie nichts dagegen machen kann. Also belastet sie sich nicht zu sehr damit.
Der Arbeitsprozess. Bevor Wrede ein Spiel bei einem Verlag vorstellen kann, baut sie Prototypen, sucht sich dafür entsprechende Materialien. Beispielsweise entwickelte sie kleine Geschicklichkeitsspiele, bei denen Metallkügelchen zum Einsatz kamen. Lange suchte sie nach dem passenden Material und wurde schließlich bei einem Waffenhändler fündig: Kleine 4,5-Millimeter-Patronenkugeln waren genau richtig. Als sie diese bestellte, erhielt sie als kleine Aufmerksamkeit des Händlers „eine richtig fiese Zwille“ dazu.
Der Probelauf. Wenn das Spiel Form angenommen hat, wird es getestet. Wrede hat ihre Testgruppen gefunden. Spiele für Schulkinder kann sie mit Schülerinnen und Schülern der Lindenhof-Grundschule ausprobieren. Ist die Zielgruppe jünger, geht sie in die evangelische Kita in der Nachbarschaft. „Dort habe ich den schönsten Spitznamen der Welt“, sagt sie. „Spiele-Anja!“ Es sei einfach toll: „Ich denke mir was aus, erkläre, wie es geht, und die Kinder haben Spaß dabei.“ Gerade bei kleineren Kindern könne man vor allem durch Beobachtung erfahren, welches Spiel funktioniert und was verändert werden muss. Sie macht auch Spiele für Erwachsene, die ebenso durchprobiert werden müssen. Dann ruft sie Freunde und Bekannte zu einem Spieleabend zusammen. Ganz wichtig bei der Entstehung eines Spiels ist die Anleitung. Dort gibt es harte Diskussionen mit ihrem Kollegen Christoph Cantzler, mit dem sie seit vielen Jahren bei der Konzipierung der Spiele zusammenarbeitet. „Wir sind da extrem pingelig“, sagt Wrede. Denn niemand möge gerne Spielanleitungen lesen, deswegen müssten sie klar und verständlich sein.
Ein langer Weg. Manche Spiele brauchen Jahre, bis sie bei einem Verlag herausgebracht werden, dort ins Sortiment passen. Ein solches Spiel ist “Monsterjäger”. Die ersten Arbeiten daran entstanden 2016 unter dem Arbeitstitel „Katzentatzen“. Ein Freund sollte es zum 50. Geburtstag bekommen. Aber erst vor Kurzem wurde es in das Programm des Berliner Spieleherstellers Schmidt aufgenommen. Der Freund hat die 50 lange überschritten. – Foto: Studioline Photography
- Verlosung. Ich kann ein Exemplar der „Monsterjäger“ verlosen und auch ein Spiel „Spitze Skizze“, das ebenfalls im Spieleverlag Schmidt erschienen ist. Dafür müssen Sie sich bis Mittwoch, 12 Uhr, auf der Seite tagesspiegel.de/gewinnen anmelden. Stichwort: „Spiele“. Ich wünsche allen viel Glück.
- Website und Blog. Mehr über Anja Wrede können Sie auf ihrer Website anja-wrede.de erfahren. Dort finden Sie auch den Blog der Spieleentwicklerin, auf dem man auch einen regelmäßigen Newsletter abonnieren kann.
- Wer soll hier als Nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: sigrid.kneist@tagesspiegel.de