Nachbarschaft

Veröffentlicht am 11.07.2023 von Sigrid Kneist

Saskia Ellenbeck, Verkehrsstadträtin, Grüne.

Vor den Wahlen 2021 kam der Ausbau der Radwege in Tempelhof-Schöneberg nur langsam voran. Für die Grünen zu langsam. Sie setzten deswegen auf eine Expertin der Radverkehrspolitik: Saskia Ellenbeck, die zuvor beim Radfahrverband ADFC beschäftigt war. Seit November 2021 ist sie Stadträtin für Ordnung, Straßen, Grünflächen, Umwelt und Naturschutz. Zu ihren Schwerpunkten gehörte ganz klar, die Radinfrastruktur im Bezirk auszubauen.

Neue Politik. Aber mit dem neuen schwarz-roten Senat sind die Voraussetzungen seit Ende April andere. Tempo bei der Umsetzung zu machen, ist nicht mehr möglich. Damit muss Ellenbeck jetzt umgehen. Die Entscheidung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) in der vergangenen Woche, fünf Radwegprojekte in Berlin zu stoppen, trifft Tempelhof-Schöneberg und damit auch Ellenbecks Arbeit ganz besonders. Denn in Tempelhof-Schöneberg handelt es sich bei den jetzt aufs Eis gelegten Vorhaben Hauptstraße und Grunewaldstraße um große Hauptverkehrsstraßen und lange Streckenabschnitte. „Hier geht es nicht nur um Radwege und ein paar Radler, sondern um den Umbau ganzer Straßenzürge zu modernen Hauptstraßen“, sagt Ellenbeck.

Die Projekte waren komplett durchgeplant mit Bürgerbeteiligung, Vereinbarungen mit der BVG und der IHK. „Damit werden detaillierte Abstimmungen zwischen allen beteiligten Akteuren und einem langwierigen und umfangreichen Planungsprozess zunichtegemacht“, sagte Ellenbeck, kurz nachdem sie am vergangenen Mittwoch davon erfahren hatte. Auch die Sozialdemokraten im Bezirk waren entsetzt. Die beiden Kreisvorsitzenden und Abgeordneten Wiebke Neumann und Lars Rauchfuß sprachen von einer „verheerenden“ Entscheidung, die auch dem Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD widerspreche. Mehr zu den Reaktionen können Sie hier lesen: tagesspiegel.de

Was geschieht jetzt? „Die Anordnungen der Senatsverwaltung sind weiter gültig“, sagt Ellenbeck. „Das hat mir die Verkehrssenatorin bestätigt.“ Und diese Anordnungen sehen etwa für die Hauptstraße eine durchgängige Busspur und eine Radspur vor. Ellenbeck nennt ein Beispiel: Wenn die Wasserbetriebe jetzt nach einem großen Rohrbruch dort arbeiten müssten, wären sie verpflichtet, die Straße so wiederherzustellen, wie es die Anordnungen vorsehen.  „Als Bezirk haben auch wir eigentlich die Pflicht, diese Anordnungen umzusetzen. Wir dürften es auch nicht verzögern.“ Aber da der Senat jetzt keine Mittel freigibt, kann der Bezirk nicht umsetzen. „Es ist eine total verrückte Situation“, sagt Ellenbeck. Juristische Möglichkeiten gibt es für den Bezirk nicht: Denn Berlin gilt als eine Einheitsgemeinde, die Bezirke sind nicht eigenständig, sondern Teil der Berliner Verwaltung. Eine inhaltliche Begründung, warum gerade diese Projekte gestoppt wurden, hat Verkehrssenatorin Schreiner bisher nicht gegeben, wie mein Kollege Daniel Böldt schreibt. Jetzt soll auf Senatsebene eine Taskforce aktiv werden und klären, wie es mit der Radwegplanung weitergeht.

Ärgerlich und frustrierend. Ellenbeck hält es für „einen bisher einmaligen Vorgang und einen Affront gegenüber den Bezirken, so reinzuregieren, dass fertige Projekte nicht umgesetzt werden können. Wenn wir so jedes Mal eine neue Legislatur beginnen, werden wir in der Verkehrspolitik nie etwas zu Ende bringen.“ Sie muss jetzt auch sehen, wie sie selber ihre Mitarbeiter bei der Stange hält und motivieren kann. Ihre Abteilung war zu Amtsantritt stark ausgeblutet und litt unter großem Personalmangel. Ein gutes Dutzend Leute hat sie eingestellt, darunter drei Radverkehrsplaner. „Wir haben ja in den Bezirken nicht so viel, womit wir Leute locken können“, sagt sie. Wenn dann konkrete Projekte, an denen engagiert gearbeitet wurde, gestoppt werden, sei das demotivierend. Auch im Sinne einer Reform der Verwaltung.

Sie will sich nicht entmutigen lassen. Ihr Einsatz für weitere Radwege geht weiter. „Für das Nebennetz sind wir Bezirke zuständig“, sagt die Grünenpolitikerin. Dann müsse man sehen, wie man dort Gelder etwa über EU-Förderungen bekommen könne. Ohnehin müssten nicht alle Maßnahmen viel Geld kosten. Die Planungen für Kiezblöcke sieht sie nicht in Gefahr: Da könne man auch mit wenig Mitteln eine Menge erreichen. Zehn Initiativen gebe es in Tempelhof-Schöneberg, da sei man auf gutem Weg. – Foto: Sven Darmer