Nachbarschaft

Veröffentlicht am 12.09.2023 von Karin Rieppel

Es begann mit dem Film „Liebe, D-Mark und Tod“: Eine Mitstreiterin von den Jusos erzählte Kubilay Yalcin, dass es in diesem Dokumentarfilm über die Gastarbeiter-Generation der türkischen Einwanderer auch um den türkischen Basar auf dem U-Bahnhof Bülowstraße geht. Sollten sich die Jusos nicht dafür einsetzen, dass migrantische Geschichte in ihrem Bezirk gewürdigt wird?

Davon hatte Yalcin noch nie gehört: Er ist 25 Jahre alt, und den türkischen Markt gab es von 1978 bis 1991, also bevor er auf die Welt kam. Doch zunächst zögerte er, sich den Film anzuschauen, er fürchtete, die dort erzählten Geschichten könnten ihn zu sehr berühren. Informationen über den Markt findet man auch anderswo: Die U-Bahn-Linie 2 war nach dem Mauerbau stillgelegt worden und auf dem Hochbahnhof Bülowstraße fuhren zwischen 1972 und 1993 keine Züge.

Der Unternehmer und Schauspieler Atalay Özcakir hatte dann die Idee, dort einen türkischen Basar einzurichten. Das Gleisbett wurde entlang des Bahnsteigs mit kleinen Buden überbaut, in denen Lebensmittel, Kleidung, Schmuck und Musikkassetten verkauft wurden. Noch wichtiger als die Einkaufsstände war die Einrichtung einer Bar mit Livemusik, einem türkischen Gazino. Vor allem der Gazino trug dazu bei, dass der Basar zu einem äußerst beliebten kulturellen Treffpunkt der türkischen Community wurde.

Ender Yalcin, der Vater von Kubilay Yalcin, wohnte damals in der Grunewaldstraße; müsste er den Basar nicht gekannt haben? Natürlich! Und er hat dort, wie er seinem Sohn erzählte, als junger Mann einen Ring gekauft. Für wen? Das hat er nicht erzählt. Stattdessen kam nun Ekrem Yalcin ins Spiel, Kubilays verstorbener Großvater: „Mein Großvater war Musiklehrer, trat aber hin und wieder als Sänger auf, und, tatsächlich auch im Gazino auf dem Bahnhof Bülowstraße“. In dem Film konnte er seinen Großvater leider nicht entdecken, den er sich dann doch angeschaut hat, nachdem der türkische Basar zum Bestandteil seiner eigenen Familiengeschichte geworden war.

Eine Infotafel über den türkischen Basar Bülow- / Ecke Potsdamer Straße

Den Kulturausschuss des Bezirks wollte Kubilay Yalcin letzte Woche davon überzeugen, mit einem Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung zu gehen: den Bahnhof Bülowstraße als Ort migrantischer Geschichte und Kultur zu würdigen, durch Hinweistafeln im Bahnhof selbst (und evtl. auch ein Schild „Türkischer Basar“ am Dach des Bahnhofs) sowie durch einen zum Beispiel jährlich wiederkehrenden interkulturellen Markt mit kulturellem Begleitprogramm unter der Hochbahn. Womit er nicht gerechnet hatte: Die Mehrheit der Ausschussmitglieder hat ihn abblitzen lassen, dafür sei der Kulturausschuss nicht zuständig. Doch gerade das war der Kern von Yalcins Anliegen, die kulturelle Anerkennung. Er ist sehr enttäuscht: „Ich habe nicht den Eindruck, dass das Thema und seine Bedeutung für Türkeistämmige erkannt und wertgeschätzt wurde.“ Nun, in welcher Form auch immer, er wird die Sache neu angehen. Fotos: Karin Rieppel