Nachbarschaft
Veröffentlicht am 21.01.2025 von Nora Tschepe-Wiesinger

Wenn Dana Fehlhaber-Richter an einem der Holztische vor ihrem Laden sitzt, dauert es keine Minute, bis die erste Person vorbeikommt, die sie kennt. „Da sitzt sie, die Queen“, grüßt eine Stammkundin im Vorübergehen. Fehlhaber-Richter, 49 Jahre alt, sitzt neben ihren beiden Hunden, nippt am Cappuccino und sagt: „Ich liebe meine Kunden.“
Seit September 2022 betreibt sie den kleinen Bio-Laden „Biolino“ in der Schöneberger Crellestraße – ein Glücksfall für die Schöneberger:innen und für den Vorbesitzer Viktor Brun. „Viktor hat jahrelang einen Nachfolger gesucht, aber niemand gefunden“, sagt Fehlhaber-Richter. Im Juni 2022 habe sie einen Anruf von Brun erhalten, ob sie als gelernte Einzelhandelskauffrau und Ernährungsberaterin mit Erfahrung in der Bio-Gastronomie nicht das Biolino weiterführen wolle. Die Lage ist ernst, denn Brun ist an Krebs erkrankt. Findet er keine Nachfolgerin, muss das „Biolino“, ein Kiezladen und Treffpunkt für die Schöneberger Nachbarschaft, schließen.
„Mein erster Gedanke damals war: Ich will nicht nach Berlin zurück“, sagt Fehlhaber-Richter. 2016 ist sie raus aus der Stadt gezogen, wohnt hinter Schönefeld, mitten in der Natur, und leitet den Hofladen der „Gläsernen Molkerei“. Das ist eine Bio-Molkerei im 550-Seelen-Dorf Münchehofe in Märkisch-Oderland. Nach Viktors Anruf sagt ihr Mann: „Schau dir den Laden doch wenigstens mal an.“ Sie folgt dem Ratschlag ihres Mannes und fährt die 40 Minuten in die Stadt bis nach Schöneberg.
Das Geschäft in der Crellestraße ist klein, eigentlich nicht das, was Fehlhaber-Richter sich als eigenen Laden vorgestellt hat. Aber dann beobachtet sie, wie fast jeder Kunde und jede Kundin Viktor mit Namen begrüßt, kurz quatscht, für einen Kaffee noch ein bisschen länger bleibt. Und auf einmal weiß sie: „Das ist genau das, was ich gesucht habe.“ Sie unterzeichnet den Vertrag als neue Geschäftsführerin und Inhaberin des „Biolino“.
Im „Biolino“ gibt es nicht nur frisches und saisonales Obst und Gemüse, auch fair gehandelten Kaffee, Gallseife, Wein. Als Einzelhandelskauffrau hat Fehlhaber-Richter bei Edeka, Rewe und Alnatura gearbeitet. „Ich liebe meinen Beruf eigentlich, aber er hat mir keinen Spaß mehr gemacht“, erzählt sie. Das Kaufverhalten der Leute im Supermarkt habe sie irgendwann als abstoßend empfunden. Viel zu viel und zu unbewusst würden die meisten einkaufen: Soft-Drinks, riesige Müsli-Packungen, Kilosäcke Möhren oder Kartoffeln, von denen die Hälfte am Ende vergammle. „Bewusste Ernährung ist mein Thema“, sagt Fehlhaber-Richter. Im „Biolino“ würden die Kunden drei Kartoffeln kaufen, statt eines ganzen Sacks.
Bis April letzten Jahres arbeitet Dana Fehlhaber-Richter noch mit Viktor Brun zusammen. Sie habe mehr Erfahrung im Verkauf als er und könne besser mit Zahlen umgehen. Aber sie lernt auch von Viktor, die Dinge ein bisschen lässiger zu nehmen. „Er war Quereinsteiger und hat die Dinge laufen lassen“, erzählt Dana. Viktor sei ein unglaublich liebenswerter Mensch gewesen und wie das „Biolino“ fast schon selbst eine Institution in der Schöneberger Crellestraße. Zu seiner Beerdigung auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof im Dezember kommt die halbe Nachbarschaft.
„Was von den Kundinnen und Kunden hier zurückkommt, tut der Seele gut“, sagt Fehlhaber-Richter. Jeden Tag steht sie zehn Stunden lang im Laden, in diesem Jahr wird sie 50. Sie erzählt, wie sie als junge Frau im Fernsehen eine Reportage gesehen habe über Frauen, die zwischen 40 und 50 beruflich noch mal neu beginnen. Das habe sie beeindruckt. Sie sagt: „Ich bin genau da, wo ich sein soll.“ Im Sommer will sie im „Biolino“ zum ersten Mal Bio-Softeis anbieten.
- Fotos: Nora Tschepe-Wiesinger
- Das „Biolino“ in der Crellestraße 38 in Schöneberg hat Montag bis Freitag von 8 bis 18.30 geöffnet und am Samstag von 9 bis 15 Uhr.
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