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von Thomas Loy

Veröffentlicht am 08.06.2020

Theater spielen ist eine super Sache. Man kann für ein paar Stunden komplett aus seinem Leben in ein fiktives umsteigen. Das ist natürlich nur Illusion, kanalisiert aber das Spektrum eigener Verhaltensauffälligkeiten (oder rettet aus der vollkommenen Unauffälligkeit). Die Bühne, auch die im Kiez, hat einen sozialen Mehrwert, daher proben im Jugend- und Kulturzentrum Gérard Philipe in Alt-Treptow genau wie in anderen soziokulturellen Häusern im Bezirk verschiedene Theatergruppen.

Damit ist jetzt Schluss. „50 Aktive in zurzeit 4 Ensembles“ wurden vom Träger des JuKuZ, dem Humanistischen Verband, „die Räume gekündigt“, erklärt der Verein Kungerkiez, der die Gruppen betreut. Nur das Jugendensemble dürfe weitermachen, weil es eben aus Jugendlichen besteht, die zur Zielgruppe des Hauses gehören. Die anderen Gruppen arbeiten mit Darstellern verschiedener Altersgruppen.

„Da offene Kinder- und Jugendarbeit vorwiegend an Nachmittag, Abend und am Wochenende stattfindet, ist es uns leider nicht möglich, die Räumlichkeiten für Theaterveranstaltungen mehrere Stunden komplett zu schließen“, erklärt Dominik Drießen vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. Nach den neuen Vorgaben des Jugendamtes soll das JuKuZ in den Kernzeiten ausschließlich für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von 9-21 Jahren zur Verfügung stehen.

Die Leute vom Kungerkiez halten das für vorgeschoben. „Die KungerKiezInitiative e.V. soll offensichtlich dafür abgestraft werden, dass sie im letzten Jahr ein eigenes, in Fachkreisen sehr gelobtes Konzept für das Gérard Philipe vorlegte.“ Dem Humanistischen Verband sei es in acht Jahren – solange betreiben sie das JuKuZ – nicht gelungen, eine „sozialräumlich orientierte, offene Jugendarbeit zu etablieren“, auch wegen häufiger Personalwechsel. Es würden nur wenige Kinder und Jugendliche erreicht. „Obwohl es seit Jahren Hinweise aus der Bevölkerung und von lokalen Akteuren auf die Schieflagen im Haus gibt, reagierte das Jugendamt nicht. Das von der KungerKiezInitiative e.V. vorgelegte Konzept wurde inhaltlich nicht einmal besprochen.“

Dem Bezirksamt hat die Arbeit im JuKuZ offenbar auch nicht wirklich gefallen. Der HvD als Träger sei aufgefordert worden. seine Öffnungszeiten und Angebote „an die bezirklichen Standards anzupassen“, so Jugendstadtrat Gernot Klemm (Linke). Konkret wurde verlangt, an sechs Tagen mindestens 45 Stunden zu öffnen, und zwar so, dass „alle Räume der offenen Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung in den geforderten Zeiten der oben benannten Zielgruppe zur Verfügung stehen.“ Kein Platz also für gemischte Theatergruppen.

Offene Jugendarbeit und Theaterproben würden sich eben nicht gut vertragen, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Karin Kant (Linke). Weil es in Alt-Treptow „sonst nichts für Jugendliche gibt“ – nach dem Wegfall der Insel der Jugend – müsse das JuKuZ nun diese Lücke füllen. Im vergangenen Jahr sei die Jugendkunstschule aus dem JuKuZ nach Köpenick umgezogen, jetzt wäre also der Weg frei, einen richtigen Jugendclub zu etablieren. „Die Jugendlichen sollen sich die Räume selber erobern.“ Natürlich wolle man die Theatergruppen nicht aus dem Kiez vergraulen. Kant schlägt vor, sich mal die ehemalige Schule am Zirkus Cabuwazi genauer anzusehen, die stehe leer und könne vielleicht für die Gruppen genutzt werden.

Thomas Loy, aufgewachsen an der Küste (Nordsee), zog 1995 nach Berlin und wohnt mit seiner Familie seit zehn Jahren in Johannisthal. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an leute-t.loy@tagesspiegel.de

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