Intro
von Thomas Loy
Veröffentlicht am 22.02.2021
das Credo fast aller Parteien in Sachen Wohnungsmangel lautet: Bauen, bauen, bauen. Linke und SPD fügen da gerne noch hinzu: Aber bitte bezahlbare Wohnungen. Jedes größere Bauprojekt wird seit Jahren nur noch mit der Auflage genehmigt, 30 Prozent sozial geförderten Wohnraum zu realisieren. Auch Genossenschaftswohnungen liegen meistens deutlich unter den marktüblichen Mietpreisen, sind also hochwillkommen.
100 Wohnungen ohne Baugenehmigung. Dennoch hat Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) den Bauantrag der Genossenschaft DPF für ein ehemaliges Mauergrundstück an der Harzer Straße 113-15 in Alt-Treptow zum zweiten Mal abgelehnt. Dort sollen rund 100 Wohnungen gebaut werden. Der Antrag war nach einem Schlichtungsverfahren bei der Wohnungsbauleitstelle des Senats überarbeitet worden, doch das Stadtplanungsamt sieht weiterhin erhebliche Verstöße gegen die gesetzlichen Vorschriften, gesunde Wohnverhältnisse herzustellen und die Umgebungsbebauung zu berücksichtigen.
Baurecht versus Baupolitik. DPF-Vorstand Andreas Böhm und seine Anwälte halten die Versagung der Baugenehmigung für rechtswidrig und Hölmer als Baustadtrat für ungeeignet. Es gebe einen Handlungsspielraum im Baugesetzbuch, den Hölmer nicht wohnungspolitisch nutze, kritisiert Böhm. Der Baustadtrat hält dagegen: Bauanträge würden allein „nach Baurecht“ entschieden und nicht „nach politischer Opportunität“. Aber ist das Baurecht wirklich so eindeutig, dass für Politik gar kein Platz ist?
Höhen und Tiefen. Die Leiterin des Stadtplanungsamtes, Ulrike Zeidler, erklärt im Ablehnungsbescheid, Gebäudehöhen und -tiefen des DPF-Projekts würden die in der Umgebung üblichen Maße überschreiten. Das lässt sich nicht einfach so messen, da die Gebäudehöhen variieren, sowohl beim geplanten Projekt als auch in der Umgebung. Die Fachleute sprechen von „punktuellen Höhenakzentuierungen“, der Laie versteht: Da ist Spielraum für unterschiedliche Bewertungen.
Zu wenig Sonnenstunden. Die Ablehnung begründet Zeidler auch mit „gesunden Wohnverhältnissen“, die in vier Wohnungen nicht gewährleistet seien, weil sie nicht ausreichend Sonne bekommen. Statt der empfohlenen vier Sonnenstunden am 21. März würden sie nur zwischen 3,25 und 1,4 Stunden besonnt. Zwei dieser Wohnungen sind als Gästewohnungen gedacht. Die DPF-Anwälte erklären dagegen, dass in zentralen Innenstadtlagen „geringere Anforderungen und Erwartungen an eine direkte Besonnung der Wohnräume“ gestellt werden, wie das Oberverwaltungsgericht in einem einschlägigen Urteil erklärt habe.
„Bauprojekt wäre ideal“. Ein Kreuzberger Vater, der den Tagesspiegel-Artikel über das Bauprojekt gelesen hat, schrieb daraufhin an Bausenator Sebastian Scheel (Linke), er würde gerne in eine der geplanten DPF-Wohnungen ziehen. Er wohnt mit Frau und zwei kleinen Töchtern in 2,5 Zimmern auf 70 Quadratmetern in der Nähe vom Oranienplatz und würde sich gerne vergrößern, ohne gleich an den Stadtrand ziehen zu müssen. „Das Bauprojekt der DPF wäre daher für uns ideal, weswegen wir schon vor einigen Jahren in die Genossenschaft eingetreten sind.“
Ungesunde Enge. Er schreibt weiter: „Die ‚gesunden Wohnverhältnisse‘, die Baustadtrat Hölmer im Neubau der DPF fordert, erscheinen mir daher wie Hohn. Hunderte Familien in Berlin leben derzeit auf zu engem Raum, was ebenfalls keine ‚gesunden Wohnverhältnisse‘ sind. Der Neubau der DPF würde hier Abhilfe schaffen – selbst wenn dieser in einigen Punkten nicht den Idealvorstellungen des Baustadtrats von Treptow-Köpenick entsprechen mag.“
Die fachlich-politische Prüfung übernimmt nun die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Bausenator Sebastian Scheel (Linke) hatte bereits angedeutet, dass sie anders ausfallen könnte als im Bezirk. Höhe und Tiefe der Gebäude werden von Scheels Fachleuten nicht beanstandet. Am Freitag bestätigte die oberste Bauaufsicht die „planungsrechtliche Zulässigkeit“ des DPF-Projekts, daraufhin erteilte der Bezirk am Montag die Fällgenehmigung für die Bäume auf dem Grundstück. Also könnte es doch noch klappen mit dem Baubeginn in diesem Jahr. Mehr zu Baustadtrat Hölmer lesen Sie weiter unten in diesem Newsletter.
Thomas Loy, aufgewachsen an der Küste (Nordsee), zog 1995 nach Berlin und wohnt mit seiner Familie seit zehn Jahren in Johannisthal. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an leute-t.loy@tagesspiegel.de