Namen & Neues
600 Euro für 18 Quadratmeter: Illegale Containersiedlung am S-Bahnhof Grünau
Veröffentlicht am 28.02.2022 von Thomas Loy
Hätten Sie Lust auf ein „alternativ-soziales Wohnprojekt in urbaner Randlage“? 18 Quadratmeter für rund 600 Euro inklusive? Wohnen im Container ist nicht jedermanns Sache, aber die Vorteile liegen klar auf der Hand: „Kein WBS notwendig, Umzugsservice möglich, Abrechnung direkt mit Jobcenter / Sozialamt möglich, Hilfe bei Ämterangelegenheiten, keine Mieterhöhungen, Preis für bis zu zwei Personen und drei Haustiere.“

Minimalismus im Alltag. So ist es bei Ebay-Kleinanzeigen zu lesen, In die Container, die am S-Bahnhof Grünau stehen (weitere angeblich in Schöneweide und Karlshorst), passen ein Bett, ein Kühlschrank, ein Regal. Ein Schrank würde die Bewegungsfreiheit schon ziemlich einschränken. Frank Biesendorfer, US-Amerikaner mit deutschen Wurzeln (siehe Foto), 58 Jahre, wohnt hier seit fünf Monaten und ist ganz zufrieden. Er mag den „Minimalismus“, in der Kunst und auch für seinen privaten Alltag. Nach einer Scheidung habe er seinen Besitz in den USA verkauft und lebe seitdem im Container in Grünau. Die Wände des Containers hat er mit Zeitungsseiten beklebt, die er wild bemalt hat. Eigentlich sei er Filmemacher, habe aber schon lange keinen Film mehr gemacht. In Berlin arbeitet er als Koch, auch Lkw habe er schon gefahren. Als US-Bürger sei er daran gewöhnt, sich alleine durchzuschlagen und nicht auf den Staat zu warten.
Parken direkt vor der Haustür. Fürs Duschen, Wäschewaschen und die Toilette gibt es Gemeinschaftsräume, „Nutzung kostenlos“, heißt es in der Mietanzeige, außerdem gebe es viele Parkplätze direkt vor der Tür, ebenfalls kostenlos – es handelt sich um öffentliche Park & Ride-Plätze. Motto der neuen Stadtrandsiedlung: „Anrufen … besichtigen … einziehen.“
Container als Wohnungsersatz. Vor Ort treffe ich auf drei Frauen in einem festen Gebäude zwischen zwei Containerblöcken und dem Wohnwagenplatz, den es offenbar schon seit ein paar Jahren gibt. Die Frauen sprechen nur gebrochen deutsch und möchten nicht wirklich reden. Im Flur der Baracke, erhellt von einer bunten Lichterkette, stehen Wäscheständer, Schuhe und Einkaufstüten. Am hölzernen Bauzaun hängt eine Reihe von Briefkästen, alle ordentlich mit Namen versehen. An beiden Enden des Geländes sind jeweils Container aufeinander gestapelt, wie auf einer Baustelle. Hier wohnen weitere Mieter, ganz regulär und dauerhaft, wie ein Mann erzählt, der seinen Hund ausführt. Gemacht für Leute, die in Berlin sonst keine Wohnungen finden. Auch er möchte eigentlich nichts sagen. „Die Leute im Asylheim haben es besser als wir.“
„Ungenehmigte Nutzungen“. Im Januar 2020 fragte die AfD, was es mit dem Platz auf sich habe. Das Bezirksamt erklärte, es gebe Bauanträge zur Umnutzung eines Bürogebäudes in eine Pension und einer Freifläche in einen Parkplatz. Doch diese „ordnungsbehördlichen Maßnahmen“ seien erst aufgrund von Bürgeranfragen eingeleitet worden. Die Eigentümer hatten einfach Fakten geschaffen. Von Containern war damals noch nicht die Rede. Auf meine Anfrage teilt die Stadtentwicklungsstadträtin Claudia Leistner (Grüne) mit: „Auf dem Grundstück sind eine Stellplatzanlage und eine Pension genehmigt. Bezüglich der ungenehmigten Nutzungen auf dem Gelände hat die Bauaufsicht ein Ordnungsmaßnahmeverfahren eingeleitet. Es ist bereits jetzt absehbar, dass dieses sehr langwierig werden wird.“
Vermieter nicht erreichbar. Solange kann der Vermieter, das in Niederschöneweide firmierende Unternehmen Santext, offenbar weiter munter Geld verdienen mit einem Geschäftsmodell, das die aktuelle Wohnungsnot zur Grundlage hat. Santext war zunächst nicht erreichbar, hat aber inzwischen auf diesen Artikel reagiert und dementiert, es gehe dabei um schnöde Profite, mehr dazu lesen Sie bei Tagesspiegel-Plus.