Nachbarschaft
Veröffentlicht am 27.04.2020 von Thomas Loy

Franz Josef Steiner, 44, Restaurantbetreiber und ehemaliger DJ aus Kitzbühel
Die „massive Entschleunigung“ durch das Coronavirus ist für viele persönlich ein Segen, glaubt Franz Josef Steiner (kurz FJS), Restaurantbetreiber, gelernter Koch und ehemaliger „Plattenmixer“ auf Ibiza (andere sagen dazu DJ). Und gleichzeitig eine wirtschaftliche Katastrophe, vor allem für seine Branche, die Gastronomie.
Ihm rettet das Virus möglicherweise das Leben, es sei ein „Geschenk des Himmels“, sagt FJS am Telefon. Schon zwei Mal sei er mit dem Krankenwagen aus seinem Restaurant geholt worden, wegen einer verschleppten Lungenentzündung oder Verdacht auf Schlaganfall. „Man reibt sich auf, bis man umfällt.“ Die viele Zeit, die er zum Nachdenken hatte, ließ in ihm den Entschluss reifen sein Leben zu ändern. Erste konkrete Maßnahme: Das „Mutzenbacher“ am Krossinsee in Schmöckwitz, geschlossen wie derzeit viele Restaurants, wird nicht mehr öffnen.
Zwei Jahre lang hat Steiner auf dem Campingplatz am Krossinsee für die Gäste gekocht, österreichische Standards wie Germknödel und Wiener Schnitzel, aber auch Eigenkreationen wie „Steirische Kürbiscanneloni mit Apfel-Schaumweinsauce“ oder „Gerösteten Kaiserschmarren mit karamelisierten Mandeln und Rosinen und verschiedenen Dips“. Alles vorbei. Sehr schade, aber die Gesundheit des Wirts geht vor. Er habe nie gewusst, sagt FJS, ob nun 50 Gäste kommen oder 500. Das sei bei der dünnen Personaldecke und seinem Anspruch an eine gute Küche nicht mehr zu bewältigen gewesen.
Immerhin gibt es ja noch das „Mutzenbacher“ in Friedrichshain, Libauer Straße, das „Haupthaus“. Sein erstes eigenes Restaurant. Dort sind es immer eher 500 Leute am Tag, ohne große Schwankungen. Auch Personal sei für die Innenstadtlage leichter zu finden als draußen am See. Auch dieses Restaurant darf nur noch Essen zum Mitnehmen produzieren. Jetzt kochen seine Leute eben auf Bestellung per Lieferando und für die „Helden“ der Coronakrise, Pfleger und Ärzte, kostenlos und ehrenamtlich. Und Steiner hofft wie alle Wirte auf ein Rettungspaket für die Branche.
Der Liebe wegen sei er Anfang der nuller Jahre nach Berlin gekommen, vorher hat er zehn Jahre lang Platten aufgelegt, am Strand von Ibiza. Ein paar Jahre machte er noch weiter als DJ, dann entdeckte FJS das Kochen für sich, absolvierte eine Lehre, arbeitete bei bekannten Sterneköchen und wagte den Schritt in die Selbständigkeit. „Ich habe richtig Gas gegeben“, sagt er. Anders geht es nicht bei ihm auch nicht. Aber jetzt tritt er auf die Bremse, verbringt viel Zeit bei seiner Familie in Österreich, denkt nach über das, was gewesen ist, und wie es künftig werden sollte.
Text: Thomas Loy, Foto: privat
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