Intro

von Cay Dobberke

Veröffentlicht am 18.09.2020

eines ihrer spannendsten aktuellen Themen debattierten die Bezirkspolitiker in der BVV am Donnerstagabend noch gar nicht – denn vier Anträge für Maßnahmen gegen Auto-Raser und illegale Wettrennen auf dem Kurfürstendamm wurden erst einmal zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Das entsprach dem üblichen Prozedere, nur selten wird sofort über neue Anträge abgestimmt. Um deutlich zu machen, wie dringend sich etwas auf dem Ku’damm ändern muss, hatten sich alle jedoch vorab auf eine Resolution geeinigt.

BVV-Vorsteherin Annegret Hansen (SPD) verlas die Erklärung, in der sich die Fraktionen „tief bestürzt“ über den neuesten schweren Unfall zeigen, das „rücksichtslose Verhalten“ der beteiligten Raser „auf das Schärfste verurteilen“ und eine baldige Diskussion im Verkehrsausschuss ankündigen. Nötig seien „verstärkte Kontrollen“ und „technische Maßnahmen“. Darüber kann der Bezirk allerdings nicht selbst entscheiden. Deshalb wurde die Senatsverkehrsverwaltung aufgefordert, so schnell wie möglich etwas zu unternehmen.

Am 31. August waren eine 45-Jährige lebensgefährlich und ihre 17-jährige Tochter schwer verletzt worden, als ein mehr als 500 PS starker BMW am Lehniner Platz in ihren Kleinwagen krachte. Laut Zeugen hatte sich der flüchtige Unfallverursacher zuvor ein Rennen mit mindestens einem anderen Auto geliefert. Der BMW war ein Mietwagen. Ob dessen inzwischen ermittelter Mieter selbst am Steuer saß, konnte die Polizei bisher nicht zweifelsfrei klären.

Was die BVV-Fraktionen verlangen, hatten wir bereits in der vorigen Woche berichtet. Zu den Vorschlägen gehören stationäre Blitzer auf dem Ku’damm, Tempo 30, Fahrbahnschwellen, eine bauliche Abtrennung der Busspur und Ampeln, die bei zu hohem Tempo von Autos automatisch auf Rot springen.

Die AfD schafft es nicht in den BVV-Vorstand. Jetzt fiel auch der vierte Kandidat der fünfköpfigen Fraktion, Michael Kobusek, bei der Wahl durch. Die rot-grün-rote Mehrheit stimmte gegen ihn, CDU und FDP enthielten sich der Stimme. Wie berichtet, rächt sich die AfD für ihre Niederlagen, indem sie der sogenannten Konsensliste nicht mehr zustimmt. Also mussten die Verordneten einzeln über eigentlich unstrittige Beschlussempfehlungen oder die Überweisung neuer Anträge in die Ausschüsse abstimmen. Alle anderen Fraktionen hatten dies bereits im August als „Erpressungsversuch“ gebrandmarkt.

Die Weigerung des Bezirksamts, Bürgern im Rahmen der „Einwohnerfragestunde“ auch schriftlich zu antworten, führte erneut zu Streit. Joachim Neu, der die Bürgerinitiative Stuttgarter Platz und ein Bündnis mit weiteren Initiativen vertritt, ärgerte sich darüber, dass man nun „alles mitschreiben“ müsse. Außerdem würden Fragesteller benachteiligt, die nicht an BVV-Sitzungen teilnehmen können. Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) erwiderte, schon 2015 habe die Bezirksaufsicht des Landes Berlin klargestellt, dass Fragen im Sinne der direkten Bürgerbeteiligung „nur innerhalb der BVV“ und damit mündlich zu beantworten seien. Über den Konflikt haben wir vor zwei Wochen ausführlich berichtet.

Kurios wirkte, dass erstmals sogar ein BVV-Mitglied die Form einer Einwohnerfrage wählte. In einer vorherigen Sitzung hatte Reinhold Hartmann (CDU) –   damals noch offiziell als Bezirksverordneter –  kritische Fragen zum Umgang von Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) mit den Corona-Regeln gestellt. Es ging um dessen umstrittenen Osterurlaub in Schweden, seine anschließende Arbeit im Homeoffice und die Befreiung von einer Quarantäne durch die Amtsärztin des Bezirks. Naumann zeigte in einer Debatte aber keine Lust, Hartmann zu antworten. Um dies doch noch zu erzwingen, schlüpfte der CDU-Mann nun in die Rolle eines einfachen Bürgers, dem laut der Geschäftsordnung eine Antwort zusteht.

Durfte er das? Der Ältestenrat der BVV habe Hartmann eine „Rüge“ erteilt, sagte Naumann. Diese Behauptung führte prompt zur erneuten Einberufung des Gremiums. Danach erklärte Vorsteherin Hansen, Bezirksamtsmitglieder dürften keine Interna aus dem Ältestenrat öffentlich verkünden. Aus Kreisen der CDU-Fraktion war außerdem zu hören, dass es sich rein formal nicht um eine Rüge gehandelt habe. Naumann beantwortete Hartmanns Fragen diesmal übrigens, sagte aber nichts Neues: Er habe gegen keine Quarantänevorschriften verstoßen und mit dem Rückzug ins Homeoffice die Hygieneregeln befolgt.

Ausgerechnet während der neuen Krise in den deutsch-russischen Beziehungen wegen der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexei Nawalny hat die Linksfraktion eine Städtepartnerschaft mit einer russischen Gemeinde beantragt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es nicht um eine Annäherung mit der Regierung von Präsident Wladimir Putin geht. Vielmehr wollen die Linken „die zahlreichen Bewohner*innen russischer und russisch-jüdischer Herkunft im Bezirk sichtbar machen“, die vor allem in den 1920-er Jahren eingewandert waren. Darauf geht der Spitzname „Charlottengrad“ für Charlottenburg zurück. Bei der Auswahl einer Partnerstadt soll das Bezirksamt darauf achten, „Initiativen und Engagement gegen Antisemitismus, Homophobie und LGBTIQ+-Feindlichkeit“ zu fördern, schreibt die Linksfraktion. Beschlossen ist noch nichts.

Für die Rettung einer Postfiliale setzte sich die CDU per Dringlichkeitsantrag ein. Das Bezirksamt solle „die zum Ende des Jahres geplante Schließung“ an der Angerburger Allee 45 in Westend verhindern. Nach unserer Recherche plant die Deutsche Post aber bisher gar nicht, die Filiale aufzugeben. „Das steht nicht zur Diskussion“, sagte Sprecher Hans-Christian Mennenga am Freitag. Richtig sei, dass „wir nach wie vor eine Partnerlösung suchen“ – also beispielsweise einen Einzelhändler, der Postdienste anbietet. Bis ein solcher Partner im Kiez gefunden sei, führe man die Filiale auf jeden Fall weiter.

Cay Dobberke, geboren in Berlin, wohnt seit mehr als 25 Jahren in Wilmersdorf. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an cay.dobberke@tagesspiegel.de

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