Namen & Neues

Bezirkspolitik in der Turnhalle

Veröffentlicht am 23.04.2020 von Corinna von Bodisco

Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg wird am 29. April mit reduzierter Teilnehmerzahl in einer Sporthalle tagen: mit maximal 31 Verordneten, der Presse und jeweils einem Mitarbeiter pro Fraktion. Gäste werden nicht zugelassen, damit die Teilnehmendenanzahl 50 nicht überschreitet. Darauf einigte sich der Ältestenrat am vergangenen Dienstagabend.

„Die Sitzung wird wohl in der Flatow-Sporthalle am Landwehrkanal stattfinden“, sagt BVV-Vorsteherin Kristine Jaath (Grüne). Dort gebe es genug Platz, eine Tonanalage und die Voting-Anlage der BVV könne installiert werden. Die Sitzung würde mit hohen Sicherheitsmaßnahmen wie Abstand und Maskenpflicht durchgeführt, um das Infektionsrisiko zu minimieren.

Keine (Einwohner-)Anfragen. Der Ältestenrat einigte sich außerdem darauf, „die Verwaltung zu entlasten“ und keine mündlichen Anfragen zu stellen. Stattdessen würde die Redezeit der „spontanen Fragerunde“ von 20 auf 30 Minuten verlängert, teilt Jaath mit. Einwohneranfragen würden nur schriftlich beantwortet.

In Reinickendorf wurde indes ein Versuch gestartet, Fragen von Bürgerinnen und Bürgern in einer Videokonferenz, einwählbar auch über Festnetz, zu beantworten (Kollege Gerd Appenzeller berichtete). Ich habe reingehört und war positiv überrascht über die souveräne Moderation. Klar, es gab oft Sätze wie „Bin ich jetzt zu hören?“ oder „Wir üben ein bisschen“, doch die vorher eingereichten Fragen wurden beantwortet und virtuelle Kommunikation ist durchaus besser als nur schriftliche oder gar keine – wenn auch holprig. Schließlich war es das erste Mal.

Der Vorschlag, in einer Xhainer Sporthalle zu tagen, wurde von der SPD eingebracht – ursprünglich mit dem Ziel, eine BVV mit allen Verordneten abzuhalten. Die Fraktion habe sich schließlich von der „Pairing“-Variante überzeugen lassen, da viele Verordnete, insbesondere der Fraktionen Linke und Grüne, „aufgrund der gesundheitlichen Gefahrenlage ihr Mandat nicht wahrnehmen können“, sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Sebastian Forck. Dadurch würde das politische Mehrheitsbild verzerrt.

Beim „Pairing“-Verfahren wird auf freiwilliger Basis die Zahl der Verordneten reduziert, um politische Stärkeverhältnisse abzubilden. Laut Bezirksverwaltungsgesetz ist die nötige Beschlussfähigkeit der BVV mit 28 Personen gegeben. Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf wird am 23. April eine BVV-Sitzung mit verringerter Teilnehmerzahl im Rathaus stattfinden.

Wie können die Risikogruppen teilhaben? Die FDP bestehe perspektivisch auf ein anderes Vorgehen, der die Teilnahme aller Verordneten gewährleiste, sagt Michael Heihsel (FDP). Denn „ältere und weniger gesunde Menschen werden so aus dem demokratischen Prozess herausgedrängt“. Laut Heihsel stellten die Fraktionen fest, dass etwa 50 Prozent der Verordneten einer Risikogruppe angehören. Auch die zweiköpfige Gruppe der FDP konnte deswegen dem Ältestenrat noch nicht bestätigen, an der Sitzung in der Sporthalle teilnehmen zu können.

Vorschlag virtuelle BVV abgelehnt. Der Vorschlag der FDP, eine virtuelle BVV abzuhalten, wurde aus Rechtsgründen abgelehnt. Grüne und Linke halten den Vorschlag zudem für undemokratisch, denn er setze voraus, dass alle Verordneten über die nötige Technik und Kompetenzen verfügen. „Immer dann, wenn technische Vorraussetzungen Bedingung für die Teilhabe an demokratischen Meinungsbildungsprozessen sind, ist das zugleich ein ausschließendes Kriterium“, gibt Linken-Fraktionsvorsitzender Oliver Nöll zu Bedenken.

Zumindest die Ausschüsse sollen aber als Videokonferenz tagen können. Ein erster Versuch, den Kulturausschuss diese Woche virtuell stattfinden zu lassen, scheiterte an einem Veto der CDU. Eine Zweidrittelmehrheit der Verordneten müsse für eine Veränderung der Geschäftsordnung stimmen, um die Form der Videokonferenz darin zu verankern, berichtet der SPD-Vorsitzende Forck. Er habe dafür eine Abstimmung per Briefwahl vorgeschlagen. Dieses Verfahren könne aber durchaus noch zwei Wochen dauern. Also, dann auf in die Sporthalle! – Text: Corinna von Bodisco

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