Intro
von Robert Klages
Veröffentlicht am 27.01.2020
letzte Woche war Premiere: Ich war zum ersten Mal im Abgeordnetenhaus von Berlin (AGH). Die Initiative „Bucht für Alle“, die 35.000 Unterschriften gegen die Bebauungspläne an der Rummelsburger Bucht gesammelt hatte, durfte im Hauptausschuss vorsprechen. Der Saal war schnell mit interessierten Bürger*innen gefüllt. Meinen Bericht über die Sitzung findet ihr hier.
Die anwesenden Politiker*innen wirkten hingegen nicht so interessiert wie die Gäste. Eher genervt. Klar, der Initiative wurde mehrfach herzlichst gedankt für ihr Engagement und ihre Mühe, da ließ sich keine Partei lumpen – und so vergeht die Zeit der unangenehmen Fragen etwas schneller und höflicher. Toll, dass es engagierte Bürger*innen gibt. Ändern wird sich jedoch nichts, das machten die Politiker*innen ebenfalls deutlich, durch die Blume, schön höflich. Da wird fein „erklärt“, warum das alles nicht so geht, wie sich das die Bürger*innen vorstellen – und ihnen für ihr Engagement gedankt. „Es wurde uns erlaubt zu sprechen, aber von Zuhören kann keine Rede sein“, sagte auch Florian Hackenberger von der Initiative.
Außerdem war es schon zu spät: Während im Plenarsaal über den bereits beschlossenen Bebauungsplan für die Rummelsburger Bucht gesprochen wurde, waren vor Ort schon die Bagger bei der Arbeit, rissen Teile der Erlebnisbar „Rummels Bucht“ ab, Musiker*innen verlieren Proberäume. Zu spät für die Initiative: die Mühlen der Demokratie zermahlen sich langsam selbst. Im Saal waren sich die Politiker*innen relativ einig: Dieser Bebauungsplan ist kein guter. Dieses „Coral World“, das von manchen Politiker*innen ausgesprochen wurde als hätten sie noch nie davon gehört, verstand niemand. Was soll das? Was ist das? Warum dort? All diese Fragen kamen auf. Warum jetzt, da es doch nun bereits beschlossen wurde?
Dieser Bebauungsplan sei eine Sünde der Koalition hieß es, sagten auch Vertreter*innen der Koalition. SPD, Linke, Grüne und CDU waren sich einig: So einen Bebauungsplan dürfte es eigentlich nicht geben und sollte es in Zukunft auch nie wieder geben. Aber wo waren sie in den letzten Monaten und Jahren, als Bürger*innen genau diesen Bebauungsplan kritisieren, immer und immer wieder? Es war nicht so, als hätte die Presse nicht darüber berichtet.
Die Aktivist*innen hören von den Abgeordneten, dass der Bucht-Bebauungsplan scheiße, aber nicht zu ändern sei. Das ist vielleicht härter zu ertragen, als wenn die Politiker*innen gesagt hätten, dass sie den Bebauungsplan gut finden. Weil dieser das Obdachlosencamp vernichtet, weil Coral World Tourist*innen anlockt, weil Wohnungen entstehen und es derzeit großen Druck gibt, dass Wohnungen entstehen sollen. Dazu fehlte den Abgeordneten wohl die Ehrlichkeit: Stattdessen haben sie ihre Redezeit ausgeschöpft, um sich zu bedanken.
Es machte nicht den Anschein, als hätten sich die Damen und Herren im AGH sonderlich ausgiebig mit der Lage vor Ort auseinandergesetzt. Da wurde zum Beispiel gefragt, ob man die Anwohner*innen vom Boxhagener Platz gefragt habe, wie diese zur Bebauung stehen. Aber: 2,3 Kilometer sind es vom „Boxi“ zum Rummelsburger See, laut Google Maps, 23 Minuten Fußweg. Und: Der Boxi ist im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der Bebauungsplan für die Bucht wurde im Bezirk Lichtenberg erstellt und beschlossen. Genau darum geht es und deswegen war Bezirksstradträtin Birgit Monteiro (SPD) extra ins AGH gekommen. Auch hier bedankten sich die Politiker*innen des AGH, dass sich Frau Monteiro die Mühe machte, zu kommen. Dass sie früher gehen musste, bevor die Initiative noch Fragen stellen konnte, sei natürlich verständlich, kein Problem.
Lichtenbergs Bürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) wurde während der AGH-Sitzung stark kritisiert. Georg Kössler, umweltpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, kassierte einen Ordnungsruf. Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) sagte, der Bezirk habe nie darum gebeten, dass der Senat den Bebauungsplan an sich reißt, daher habe man sich auch nicht in die Bezirksangelegenheit eingemischt. Die Schuld auf den Bezirk zu schieben, ist natürlich einfach. Vor allem, wenn man sieht, dass Grunst den Senat bereits vor Festsetzung des Bebauungsplans um eine Einschätzung zu diesem bat.
„Ich denke nur, dass es keinen Sinn macht, wenn Teile der Koalition zu dem Projekt [Coral World] in Opposition gehen und mit dem Finger auf die Entscheidungsträger im Bezirk Lichtenberg zeigen“, schrieb Grunst. Das Zitat ist nicht aktuell, sondern bereits vom 19. September 2018 aus einer Mail Grunsts an die Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh (SPD), Udo Wolf, Carola Bluhm (beide Linke), Antje Kapek und Silke Gebel (beide Grüne) mit dem Betreff „B-Plan Ostkreuz“. Weiter: „Auch wenn Sie zurecht bemerken, die Festsetzung ist Angelegenheit des Bezirkes Lichtenberg, hat ein Scheitern des B-Planes erhebliche finanzielle Auswirkungen für das Land Berlin. Mir ist für die abschließende Befassung des B-Planes wichtig, die Position der Koalitionsfraktionen zu kennen oder anders formuliert, trägt die Koalition die Ergebnisse der vergangenen 26 Jahre mit? Über eine Rückmeldung würde ich mich freuen.“ Diese habe Grunst allerdings nicht bekommen, wie er mir auf Nachfrage sagte.
Letzte Woche im AGH kam sogar der Treptower Park ins Spiel. Dort gebe es reichlich Naherholung, argumentierten Abgeordnete für die Bebauung der Rummelsburger Bucht. Aber gut, wieder ein anderer Bezirk. Das zeigt, dass sich das AGH kaum auf die Sitzung vorbereitet hatte. Vielleicht nicht alle, ich möchte eigentlich nicht von „den Politiker*innen“ sprechen. Allerdings entstand bei mir ein Gesamtbild, das ich noch lange mit mir tragen werde. Hinter mir fragte jemand laut: „Was machen die hier im AGH eigentlich beruflich?“ Mein erster Besuch im AGH wird hoffentlich der letzte gewesen sein. Ich bleibe lieber dort, wo die Dinge geschehen, die im AGH beschlossen werden. Bitte weiterlesen in der Rubrik „Nachbarschaft“.
Robert Klages ist freier Mitarbeiter beim Tagesspiegel. Schreibt ihm bei Anregungen, Kritik, Wünschen, Tipps bitte eine E-Mail an leute-r.klages@tagesspiegel.de. Ansonsten ist er auch auf Facebook, Twitter und Instagram zu finden.
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