Namen & Neues

Prozess um Anti-Nazi-Demonstrantin

Veröffentlicht am 29.07.2019 von Robert Klages

Am Donnerstag begann der Prozess um eine junge Frau, die sich auf dem Rudolf-Heß-Marsch 2018 in Lichtenberg vermummt und Widerstand bei ihre Festnahme geleistet haben soll. Ist die Klage konstruiert worden, um Polizeigewalt zu verschleiern? Danke nochmal an die Lichtenberger*innen, die mich auf den Fall aufmerksam gemacht haben. Und danke an die Kollegin Anima Müller, die zu dem Prozess gegangen ist. Sie schreibt:

Am Donnerstag, den 26. Juli, stehen sie vor Raum 1002 des Amtsgerichts Tiergarten. Das Berliner Bündnis gegen Rechts ist mit etwa 40 anderen Menschen hier, um eine 23-jährige Frau zu unterstützen, die im August vergangenen Jahres gegen Neonazis auf dem Rudolf-Heß-Marsch demonstriert hat – und sich laut Aussage der Polizei dabei vermummt und bei ihrer Festnahme Widerstand geleistet haben soll. “Wir haben diesen Prozess erzwungen, also wollen wir ihn auch führen”, sagt ein Sprecher des Bündnisses. Die Antifaschistin ist angeklagt, weil sie sich weigerte, einen Bußgeldbescheid von 1.500 Euro zu bezahlen. Und es auch ablehnt, dass das Verfahren eingestellt wird – was ihr die Staatsanwältin vorher anbot.

Denn sie plädiert auf Freispruch. “Es handelt sich hier um ein politisches Verfahren”, sagt das Bündnis. Dafür will die Frau auch das Risiko in Kauf nehmen, verurteilt zu werden. Auf der Demonstration habe sie keine Gelegenheit gehabt, sich gegen die Festnahme zu wehren. Mehrere Polizisten hätten sie von hinten attackiert, sie gewaltsam zu Boden gerissen und geschlagen, ihr Hämatome im Gesicht und eine gebrochene Nase verpasst. Die Klage sei konstruiert, um Gewalt in der Demopolizei zu verschleiern.

Als sich die Saaltüren öffnen, ist das Gedränge groß. Nur vierzehn Personen wollen die Sicherheitsbeamten im Raum erlauben, nicht alle können rein. Die Zuschauer*innen rutschen auf der Bank zusammen, lehnen sich ans Fenster – es hilft nichts, die Richterin will keine Ausnahme erlauben. “Ich bitte um Verständnis, der Brandschutz”, sagt sie. Nur unter Protest verlassen einige den Saal wieder.

Dann liest die junge Frau ihre Prozesserklärung vor. “Der Heß-Marsch und die Kooperation zwischen Nazis und deutscher Polizei haben Tradition”, sagt sie. 2.300 Polizist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet seien zum Heß-Marsch 2018 im Einsatz gewesen. Sie spricht Verstrickungen der Polizei mit dem Neonazi-Milieu an, die Hannibal-Affäre oder den Tod von Walter Lübcke. Als sie sich wieder hinsetzt, donnert Applaus von der Zuschauer*innenbank.

Auftritt erster und einziger Zeuge an diesem Tag: Ein Polizist, der daran beteiligt war, die Frau festzunehmen. Einige Zuschauer*innen halten Schilder hoch, während er den Raum betritt. Auf ihnen steht zum Beispiel: „Jeder Vorgang lässt sich so verändern, dass das rechtswidrige Verhalten der Polizei dem Gegenüber angelastet werden kann.“ Zunächst behauptet der Zeuge, die Vermummung der Frau – blauer Schal, gelbe Sonnenbrille, Käppi – sei ihm bereits aufgefallen, als sie an einer Sitzblockade teilnahm.

Erst, nachdem die Verteidigerin mehrfach nachfragt, stellt sich heraus: Ihre Vermummung hat der Polizist gar nicht gesehen. Die Information darüber hat er einem Bericht entnommen. Er habe sich schließlich vorbereiten müssen, erwidert er. Viele Details darüber, wie der Polizist und seine Kollegen zugegriffen haben, kann er nicht mehr erinnern oder will sie aus „strategischen Gründen“ nicht preisgeben.

Ob sie „blaue, grüne oder rote Flecken“ an Armen und Beinen gehabt habe, als er und sein Kollege sie zum Mannschaftswagen trugen, weiß er nicht mehr. Erst auf vehementes Nachhaken der Verteidigerin gibt er an, dass er und sein Kollege mit einem sogenannten „Nasen-Druck-Hebel“ zugegriffen haben. Das ist ein Griff von hinten an die Nase, der die betroffene Person schnell zu Boden bringt. Er erinnert sich allerdings daran, dass die Frau „mit den Armen umhergeschlackert“ habe, als er sie festnehmen wollte.

Zumindest einen Teil der Informationen, die dem Gedächtnis des Zeugen entschwunden sind, kann dann aber ein Video nachliefern. Das fertigte die Polizei vor und während der Festnahme an. Es zeigt, wie sich die Angeklagte mit einer Gruppe Bekannter in eine Seitenstraße von der Demonstration entfernt – friedlich, offenbar machen sie sich auf den Heimweg. Dann greifen mindestens zwei Polizisten von hinten nach ihr, ohne sie vorher anzusprechen. Keine Ankündigung oder die Frage nach Personalien.

An genau dieser Stelle reißt das Video ab. Es ist von der Polizei geschnitten worden, erklärt die Verteidigerin später. Man müsse im Idealfall noch einmal mit dem Beamten sprechen, der dafür zuständig gewesen sei – und fragen, was auf dem restlichen Material zu sehen ist.

Der Richterin reichen die Informationen über den Fall noch nicht. Sie ordnet an, noch weitere ein bis zwei Zeugen anzuhören – am 1. August soll es weitergehen. Der Termin liegt nur zwei Wochen vor dem nächsten Heß-Marsch am 17. August, sollte er denn überhaupt stattfinden. Die Organisatoren geben keine Demorouten bekannt und halten den Treffpunkt oft bis zum selben Tag geheim, um Gegendemonstranten abzuwimmeln.

Im letzten Jahr wollten die Neonazis durch Spandau marschieren, da der Hitler-Stellvertreter dort im Kriegsverbrechergefängnis bis zu seinem Tod im Jahr 1987 interniert war – sie hängen der Verschwörungstheorie an, dass Heß dort umgebracht worden sei und marschieren oft unter dem Motto „Mord verjährt nicht“. Tatsächlich nahm sich Heß nach 41 Jahren im Gefängnis dort das Leben. Da in Spandau im vergangenen Jahr bereits hunderte Gegendemonstranten warteten, verlegten die Neonazis ihre Route spontan nach Lichtenberg und Friedrichshain.

Beim Bündnis gegen Rechts ist man sich relativ sicher, einen Freispruch für die Antifaschistin erreichen zu können. „Außerdem bringt uns der Prozess Aufmerksamkeit, um gegen den Marsch zu mobilisieren“, sagt das Bündnis. Um sich auf das Verwirrspiel der Neonazis einzustellen, organisieren sie in diesem Jahr Treffpunkte für mehrere hundert Menschen in verschiedensten Stadtteilen.