Namen & Neues
Doch nicht nur die Kälte? Coral World war eingebunden. Vorherige Treffen fanden statt: Eine Rekonstruktion der Räumung des Obdachlosenlagers an der Rummelsburger Bucht
Veröffentlicht am 09.03.2021 von Robert Klages
Letzte Woche soll sich Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) zaghaft dafür entschuldigt haben, dass bei der Räumung des Obdachlosenlagers an der Rummelsburger Bucht nicht alles ganz so gut gelaufen sei. Das berichten mir Teilnehmende des Meetings „Arbeitskreis Wohnungsnot“ vom 3. März. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) nahm ebenfalls teil und stellte sich Fragen von 65 Sozialarbeiter*innen. Mit Hönicke war sie sich einig, „Safe Places“ für obdachlose Menschen einrichten zu wollen – ein Ort wurde ja bereits ausgemacht. Das Camp an der Bucht ist mittlerweile Geschichte.
„Das Vorgehen des Bezirksamtes wird vom Senat als unglücklich bewertet“, heißt es in einer Antwort der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Fadime Topaç, die mir vorliegt. „Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das Bezirksamt frühzeitig bei Einbeziehung der Beteiligten und Annahme der Unterstützungsangebote eine Lösung gefunden hätte.“
Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hatte dem Bezirksamt im Dezember 2020 Vorschläge unterbreitet. Wasserkanister und eine Dixi-Toilette zum Beispiel. Hönicke entschied jedoch, keine der Maßnahmen umzusetzen. Grund: „planungsbauvorbereitende Maßnahmen“. Am 5. Februar, also am Tag der Räumung, richtete Hönicke um 12.28 Uhr ein Ersuch an die Flächeneigentümer*innen (Howoge, Coral World, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen), Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Camp-Bewohner*innen zu treffen – und erhielt im Laufe des Tages keine Antwort.
Die Berliner Kältehilfe teilte Hönicke am selben Tag um 14.01 Uhr auf vorherige Anfrage mit, dass kurzfristige Unterbringungsmöglichkeiten nicht vorhanden wären. Um einer so großen Anzahl von Menschen zu helfen, sei ein größerer zeitlicher Vorlauf notwendig. Dem Bezirksamt wurde empfohlen, eine Notlage auszurufen und über das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ein Wärmezelt für die nächsten acht Tage auf der Fläche bereitzustellen. Daraufhin sollen Bezirksbürger*innenmeister Michael Grunst (Linke) und Hönicke die Bereitstellung eines Wärmezelts auch zunächst beschlossen haben.
Diese Entscheidung sollen sie allerdings um 15 Uhr, nach einer Begehung des Camps, wieder zurückgenommen haben, da improvisierte Öfen in Zelten gesichtet worden waren, die als eine „konkrete Gefahr“ für das Leben der Menschen auf dem Gelände eingestuft worden waren – der einberufene Katastrophenschutz empfahl die sofortige Räumung. Bisher hatten Hönicke und das Bezirksamt den angekündigten Kälteeinbruch am 5. Februar als Grund für die „Evakuierung“ des Lages angegeben. (Die Existenz von „Öfen“ sowie Feuerstellen in oder an den Lagern und Zelten dürfte eigentlich nicht weiter ungekannt gewesen sein, da diese bereits seit Jahren existierten. Es wurden auch Brände in dem Lager gemeldet.)
Die Senatsverwaltung für Soziales bestätigt in der Beantwortung der Grünen-Anfrage, dass die Grundstückseigentümerin Coral World an dem Entscheidungsprozess des Katastrophenschutzes beteiligt war – die Senatsverwaltung selbst jedoch nicht. Sie habe erst am später Nachmittag des 5. Februars das Amtshilfeersuchen des Bezirks zur Unterbringung der obdachlosen Menschen erhalten. Von den rund 100 Menschen auf dem Gelände wurden 47 in eine Traglufthalle und später in ein Hotel gebracht.
In diesem Hotel sind derzeit 237 Personen untergebracht. „Die meisten ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der Rummelsburger Bucht dürften inzwischen dort eingezogen sein“, schreibt die Senatsverwaltung. Präzise Kenntnisse darüber würden aber nicht vorliegen. Die Abholung von Hab und Gut durch die Obdachlosen, welche vom 7. bis zum 12. Februar stattfand, soll durch Protokolle und Fotos dokumentiert worden sein. Am 6. Februar wurde bekanntlich Eigentum der Obdachlosen zerstört. Laut Senatsverwaltung seien die Bagger auf dem Gelände gewesen, um die Öfen und Feuerstellen zu entfernen (und verschrotteten dann gleich einen Wohnwagen).
Bereits am 14. Dezember 2020 und am 25. Januar 2021 hatten Breitenbach und Hönicke Gespräche bezüglich der Situation des Camps an der Bucht geführt. Seitens der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wurde dem Bezirksamt Unterstützung für konkrete Hilfsangebote zugesagt. Bereits vorher, am 16. September 2020 hatte eine „fachstellenübergreifende Koordinationsrunde“ zum Thema „Obdachlosigkeit in der Rummelsburger Bucht“ stattgefunden, an der neben den bezirklich zuständigen Stellen die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen teilnahmen.
- Erneute Demonstration. Für den 14. März um 14 Uhr wurde eine Demo gegen den Bebauungsplan am Ostkreuz/ Rummelsburger Bucht angekündigt – sowie gegen die Vertreibung der obdachlosen Menschen an der Bucht. Startpunkt: Ostkreuz (Hauptstraße/Kynaststraße).
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