Kiezgespräch

Veröffentlicht am 11.06.2018 von Robert Klages

Viel Wirbel gab es zuletzt wieder um die Gedenksstätte Hohenschönhausen, wie berichtet. Die Gedenkstätte trennte sich von einem langjährigen Mitarbeiter, der angeblich den Holocaust relativiert haben soll. Schon länger heißt es, die Gedenkstätte habe eine unangenehme Nähe zur AfD aufgebaut. Erneut in der Kritik steht nun Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sagte: „Die Aufklärung über das SED-Regime und die Stasi-Machenschaften darf nicht dazu benutzt werden, Propaganda für die AfD zu machen. Das würde dem Anliegen der Aufklärung schwerstens schaden.“ Nachzulesen hier.

Hier ein Gastkommentar des Historikers Christian Booß: „Die Reaktion kam reflexartig. Die Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen wird verdächtigt, eine Kaderschmiede der AfD zu sein. Ihr Direktor bekommt, weil er angeblich nicht den antitotalitären Konsens wahre, indirekt auch eins mit. Das nimmt nicht Wunder, denn linksliberalen Kritikern, voran dem SPD-Politiker Wolfgang Thierse, ist Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe, der in den vergangenen Jahren oft kompromisslos gegen zu viel Nachsicht gegenüber SED-und Stasi-Resten in der Gesellschaft gewettert hat, schon immer ein Dorn im Auge. Der jetzige Anlass scheint willkommen, wenn auch nur teilweise gut gewählt und die Schlussfolgerung problematisch.

Den Anstoß gab eine Äußerung, die der DDR-Altdissident Siegmar Faust vor der Presse getan haben soll. Dieser habe gesagt, er verstehe, „dass die Verbrechen der Nazizeit noch weiter wirken. Aber irgendwann muss das mal ein bissel aufhören. Man darf es nicht übertreiben.“ Ein „bisserl aufhören“, das klingt nach Schwamm drüber und wirkte in den Ohren des Gedenkstättenleiters offenbar so, dass Faust die Ermordung der Juden in der NS-Zeit vergessen lassen wolle. Knabe suspendierte Faust, der bis dahin als Zeitzeuge und Guide Gästen in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Stasi die Vergangenheit erklärte. Kein Gedenkstättenleiter in Deutschland hätte angesichts der Deutschen Geschichte wohl anders reagiert. Insofern wundert die Kritik von Thierse und Co.

In den sozialen Medien ruft die Entscheidung jedoch polarisierte Reaktionen hervor. Faust ist nämlich nicht irgendwer. Er ist eine Legende. Er saß zu DDR-Zeiten in Cottbus ein, mehrere 100 Tage Einzelhaft, sogar im sogenannten „Tigerkäfig“ konnten sie ihn nicht brechen. Nach dem Freikauf war er einige Zeit Referent beim DDR-Barden Wolf Biermann. Andere SED-Opfer und Freunde von Faust rechnen sein Leiden gegen seine Äußerung auf. Sie vergessen, der Opferstatus allein schützt nicht vor Torheiten und auch nicht grenzenlos vor Kritik. Die Kritiken an der Faust-Kritik zeigen vor allem aber eins. Er steht keineswegs allein mit seiner Meinung- auch außerhalb von Hohenschönhausen. An diesem Fakt geht die Kritik von Thierse und, ähnlich lautend, dem Potsdamer Historiker, Jens Giesecke, verharmlosend vorbei. Hier geht es nicht um ein Hohenschönhausenproblem, sondern eines der DDR-Aufarbeitungsszenerie und Opfervereinslandschaft insgesamt.

Wer richtig zuhört, kann nämlich inzwischen auf vielen Veranstaltungen, wo es um das SED-Unrecht geht, hören, dass die Meinungsfreiheit heute schon wieder so stark beschnitten sei, wie in der DDR-Diktatur; dass die Regierenden wie weiland nicht auf‘s Volk hören, usw. Nicht unbedingt die Mehrheit im Saal, aber eine auch kaum zu überhörende Minderheit.  Das sind Thesen, die zu den Lieblingsthemen der Rechtspopulisten gehören. Sogar zum Rechtextremismus tendierenden Äußerungen sind, wenn auch sehr vereinzelt, zu hören. Das an sich wäre vielleicht keinen Kommentar wert, weil nicht untypisch für das gesellschaftliche Gesamtklima derzeit. Aber die Aufarbeitungsinstitutionen haben nunmal den selbstgesetzten und meist staatlichen alimentierten Anspruch, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, um für die heutige Demokratie zu lernen. Und da passt es nicht recht, wenn sogar rechtsextrem Konnotiertes –wenn auch peinlich berührt- weggeschwiegen oder mit dem oft gehörten Verweis auf Posttraumata der Redenden wegretouchiert wird.

Manchmal hat man der Eindruck, die Aufarbeitungsszenerie will sich ihren Glauben nicht nehmen lassen, sie sei die homogene Gemeinschaft der Guten. Wer aber genauer hinsieht, weiß, dass es unter den Gegnern der SED schon immer Kritiker gab, die Rechts standen, zu DDR-Zeiten, während des Umbruchs 1989 und bis heute. Das muss nicht unbedingt beunruhigen, nationalkonservative Positionen z.B. muss man nicht teilen, verboten oder verfassungswidrig sind sie dennoch nicht. Problematisch wird es freilich, wenn unbewusst oder -noch schlimmer- bewusst, die Linien zu rechtsextremen Positionen verwischt werden. Dass diese Gefahr besteht, kann man „dank“ Gauland, Höcke und Co jeden Tag in der Zeitung lesen. Siegmar Faust, der persönlich sicher kein Rechtsextremer ist, hat durch Ungeschicklichkeit oder gezielt – das ist nicht ganz klar – offenbar werden lassen, dass auch und gerade die Aufarbeitungs- und Opferszene keineswegs immun gegen solche Rechtsschlenker ist. Es ist der teilweise Beifall, der einen aufhorchen lassen müsste. Zu diesem Problem sagt aber Wolfgang Thierse und Co nichts. Reflexe sind eben keine Analysen, sondern nur nervöse Kurzschlüsse.“