Namen & Neues

Neue Mobilität: Perspektiven für den Stadtrand

Veröffentlicht am 05.03.2019 von Ingo Salmen

Es war der Satz der Woche in Berlin: „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen“, sagte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für die Grünen) vergangenen Mittwoch beim Mittelstandskongress der CDU. Das alte Mobilitätskonzept der „autogerechten Stadt“ habe ausgedient, erläuterte sie später in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel. Deshalb solle der Umweltverbund aus Öffentlichem Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr so gestärkt werden, dass immer mehr Leute auf ihr eigenes Auto verzichten könnten. „Je weniger Autos auf den Straßen fahren müssen, desto besser.“ Es solle Platz für diejenigen sein, die das Auto wirklich brauchen: wie Handwerker, Lieferverkehr, Polizei und Pflegedienste, schrieb Günther.

Gerade am Rande der Stadt stoßen solche Verlautbarungen schnell auf große Vorbehalte. Die Erfahrung vieler Verkehrsteilnehmer: Die Straßen sind morgens und abends mit Autos verstopft, die in die Stadt wollen oder wieder heraus. Die S- und U-Bahnen sind zur selben Zeit ebenfalls überfüllt. Der Weg von der Haustür zur nächsten Bushaltestelle oder zum nächsten Bahnhof kann mitunter recht weit sein, was oft auch für die Taktung gilt. Günther hat jetzt angekündigt, dass sie das Mobilitätsgesetz, das bisher ein Radgesetz ist, auf den Fußverkehr ausweiten will: Zum Beispiel sollen Fußgänger längere Grünphasen bekommen. Wir erinnern uns: Als Schüler des Biesdorfer Otto-Nagel-Gymnasiums das vergangenes Jahr für ihren Schulweg forderten, wurden sie von Senatorin und Verkehrslenkung abgewiesen.

Leihräder haben es bisher nicht weiter als bis nach Lichtenberg geschafft. Carsharing wäre eine ideale Möglichkeit, um Fahrgemeinschaften zum Arbeitsplatz oder zum Bahnhof zu bilden. Der Großvermieter Sixt hat gerade ein neues Angebot angekündigt – wie die anderen auch innerhalb des S-Bahn-Rings. Selbst der „Berlkönig“ der landeseigenen BVG ist bislang nur in der Innenstadt unterwegs. Die Bezirksverordneten haben Ende Februar einen Antrag von CDU und Linke beschlossen, die eine Einbeziehung Marzahn-Hellersdorfs fordern. Auch die örtliche SPD will das ändern und bringt Ende März einen Antrag für die Förderung von Leihautos und -fahrrädern beim Landesparteitag ein. Ein Vorstoß der CDU, den Tarifbereich A/B im Nahverkehr bis zum ersten Halt in Brandenburg auszuweiten, um Pendlerverkehre zu reduzieren, wurde von Rot-Rot-Grün abgelehnt – weil es zu teuer sei. Kein Wunder, dass die CDU im Abgeordnetenhaus das jetzt wieder fordert.

Wie viel auch im Kleinen noch zu tun ist, zeigt eine Anfrage bei Grit Lehmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). Beispiel Bahnhof Mahlsdorf: Dort gibt es knapp 140 Stellplätze für Fahrräder; gezählt haben die Aktiven auch schon mal 500 abgestellte Räder, 70 davon „wildgeparkt“ und 170 in dritter und vierter Reihe. „Es besteht ein eklatanter Mangel an Radabstellanlagen“, teilt Lehmann mit. „Den Bedarf schätzen wir aktuell auf circa 650 Radabstellplätze (das heißt für 650 Räder), Tendenz steigend bei weiter zunehmender Bevölkerung und angestrebter Verkehrswende!“ Beispiel Märkische Allee: Die ist dreispurig, hat aber keinen Fuß- und keinen Radweg. Die rechte Spur ist jedoch meist komplett mit Lastwagen zugeparkt – die Konsequenz: Wer mutig genug ist, fährt mit seinem Rad zwischen den Lastern und dem fließenden Verkehr hindurch mit allen Gefahren. Andere lassen es lieber ganz bleiben. Das größte Potenzial sieht Lehmann im engmaschigen Ausbau des Radwegenetzes bis nach Brandenburg hinein. Neue Strecken sind ihr wichtiger als andere Farben. Doch Planung dauere oft zu lange, die Verbesserungen im ÖPNV hielten nicht Schritt mit dem Wachstum der Stadt auch am Rand.

Die Ziele der Senatorin sind groß, die konkrete Behebung längst bekannter Probleme ist dringender denn je. Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus, schmähte Günther als „Anti-Auto-Senatorin“. Nicht alle gingen mit ihr so hart ins Gericht, das öffnet vielleicht ein Fenster fürs Gespräch. Der Biesdorfer Christdemokrat Christian Gräff, der als Landesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung seiner Partei Günther zum Kongress eingeladen hatte, schrieb zu ihrer Verteidigung bei Twitter: „Ich fand, die Rede war gut und mutig. Punkt.“ Gefolgt von einem Zwinker-Smiley.