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von Laura Hofmann

Veröffentlicht am 29.01.2020

auch Mitte hat jetzt den Klimanotstand ausgerufen. Genauer: die Bezirksverordnetenversammlung, und zwar in ihrer letzten Sitzung am vergangenen Donnerstag. Mit diesem Beschluss endete ein monatelanger Diskussionsprozess. Der Klimaschutz im Bezirk steht damit noch ziemlich am Anfang. Auch wenn einige Punkte des Papiers radikal klingen, sind sie noch lange nicht umgesetzt. Ob und inwiefern das Bezirksamt ihnen wirklich Folge leistet, ist noch offen.

Was steht drin? Zum Beispiel: „Die Eindämmung der Klimakrise in der bezirklichen Politik und das Erreichen von Klimaneutralität bis 2035 hat nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf Landes- und Bezirksebene Priorität. Die Frage der Klimagerechtigkeit, ökologische und soziale Gerechtigkeit, bilden eine untrennbare Einheit und ist die zentrale Herausforderung der Menschheit.“

Was wird gefordert? Ein zentraler Punkt ist der Klimavorbehalt: Das Bezirksamt muss bei allen Entscheidungen die Klimaverträglichkeit des Vorhabens prüfen und die klimafreundlichste Alternative wählen. Ein jährliches Klimasymposium soll dem Austausch zu allen bezirklichen Klimaschutz-Vorhaben dienen; ein bezirkliches Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept dazu den Rahmen bilden. Beim wichtigen Thema Verkehr nimmt der Beschluss Bezug auf das Mobilitätsgesetz, das Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV vor dem Pkw Priorität einräumt. „Wohnquartiere sind nach Möglichkeit als verkehrsberuhigte Zonen oder Spielstraßen auszugestalten“, heißt es im Beschluss. Außerdem sollen mehr Tempo-30-Zonen, zusätzliche Fahrradstraßen, „Fußgänger*innenzonen“ und der „fahrrad- und fußgängerfreundliche Umbau von Straßen“ geprüft und gefördert werden. Außerdem fordert der Beschluss die verstärkte Pflege von Grün- und Freiflächen, mehr Bäume und klimaneutrale Gebäude.

Wie lief die Debatte? Der Klimanotstand wurde gegen die Stimmen von CDU, FDP und AfD beschlossen. Den Antrag eingebracht hatte die Zählgemeinschaft aus Grünen, SPD und Linken. „Mit diesem Antrag lösen wir einen Missstand auf, der sich 60 Jahre angehäuft hat“, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Sascha Schug. „Es sollen Regeln für uns selbst aufgestellt werden, auch wenn sie nicht jedem gefallen.“ Zum Beispiel Sebastian Pieper: Der CDU-Fraktionschef kritisierte, dass der Beschluss auch „einen Rückbau von Verkehrsflächen für PKWs“ vorsehe, also weniger Parkplätze und Autospuren. Damit gehe es „mal wieder einseitig gegen das Auto, also auch gegen das Elektroauto“. In der Debatte hatte die CDU der rot-grünen Zählgemeinschaft vorgeworfen, mit strenger Klimapolitik die Gesellschaft zu spalten.

„Die Bekämpfung des Klimawandels muss oberste Priorität haben“, findet dagegen Grünen-Fraktionschefin Laura Neugebauer. „Wir müssen handeln, es ist schon mehr als viertel nach zwölf.“ Felix Hemmer, Fraktionsvorsitzender der FDP, bezeichnet Klimaschutz zwar ebenfalls als „Priorität“, kritisiert aber den Beschluss als „Symbolpolitik“. Durch einen Klimavorbehalt würde die BVV gelähmt. „Bildung, Infrastruktur, soziale Projekte müssen finanziert werden“, so Hemmer. Seine Sorge, ähnlich wie die der CDU: Durch einen Beschluss wie diesen schwinde die Akzeptanz für Klimschutz in der Gesellschaft.

Was sagt das Bezirksamt dazu? Eine „Erörterung des BVV-Beschlusses soll im Verlaufe des Februar erfolgen“, heißt es auf meine Nachfrage. Immerhin: Mit dem Haushaltsplan 2020/21 wurden im Bezirk die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Klimaschutzbeauftragten geschaffen. Die Stelle soll nun ausgeschrieben werden. Das Bezirksamt Mitte weist außerdem darauf hin, bereits „auf vielen Ebenen“ in Sachen Klimaschutz tätig zu sein.

Zum Beispiel setzt das Ordnungsamt seit dem vergangenen Jahr verstärkt auf Elektromobilität. Im Straßen- und Grünflächenamt seien derzeit neun Elektrofahrzeuge und ein Fahrzeug mit kombiniertem Benzin-/Gasantrieb im Einsatz. Bei geplanten Neuanschaffungen setzt das Bezirksamt auf alternative Antriebe. „Wenn diese verfügbar sind, werden Anschaffungen, auch wenn sie deutlich teurer sind, auf E-Antrieb erfolgen.“ Bislang mangele es vor allem bei Groß- und Spezialfahrzeugen an Angeboten, aber auch an der Infrastruktur (Ladestationen) und entsprechenden Leitungskapazitäten. „Seit vergangenem November stellt das Bezirksamt Mitte seinen Beschäftigten bislang zehn elektrische Dienstfahrräder zur Verfügung. Weitere 15 Räder sind bestellt.“

Der Senat hat den Klimanotstand doch schon anerkannt, warum jetzt noch der Bezirk? Dazu heißt es im Beschluss: „Wir stellen fest, dass die vom Land Berlin bereits beschlossenen und in Umsetzung befindlichen Maßnahmen positiv sind. Sie reichen jedoch nicht aus, um die Klimakrise einzudämmen und unser Ziel einer vollständigen Klimaneutralität zu erreichen. Gerade auch auf bezirklicher Ebene müssen weitere, ambitionierte Schritte folgen.“

Was folgt auf den Klimanotstands-Beschluss des Senats? Umwelt-und Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) will – unter anderem – Autos mit Verbrennungsmotoren bis 2035 komplett aus Berlin verbannen. SPD und Linke sind noch skeptisch. Ein Konzept dafür will Günthers Verwaltung im März vorlegen. „Es ist wichtig, dass wir jetzt schnell vorankommen, nachdem Berlin als erstes Bundesland die Klimanotlage anerkannt hat“, sagte Günther gestern auf meine Nachfrage. „Große Städte wie Berlin müssen zeigen, dass es geht.“

Was ist mit den anderen Bezirken? Die Bezirksverordnetenversammlungen von Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf haben ebenfalls bereits vor einigen Wochen den Klimanotstand beschlossen. Was ist seitdem passiert? Ich habe mal bei den Bezirksämtern nachgefragt. Aus Pankow antwortete Bürgermeister Sören Benn (Linke): „Das Bezirksamt arbeitet an der Einrichtung einer Leitstelle Klimaschutz und einem Verfahren, Bezirksamtsbeschlüsse auch auf ihre Folgen im Hinblick auf den Klimaschutz zu bewerten. Derzeit wird eine Ausschreibung zu Besetzung der Leitstelle vorbereitet.“ Aus Charlottenburg-Wilmersdorf habe ich bis Redaktionsschluss leider keine Antwort erhalten. – Text: Laura Hofmann

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Laura Hofmann ist Redakteurin für Landes-und Bezirkspolitik beim Tagesspiegel. Ihre erste Berliner Wohnung war im Wedding, hierher kehrt sie immer gerne zurück. Heute wohnt sie an der Grenze zwischen Mitte und Kreuzberg, die Türme vom Potsdamer Platz fest im Blick. Schreiben Sie ihr eine Mail oder folgen Sie ihr auf Twitter oder Facebook.