Nachbarschaft
Veröffentlicht am 08.01.2020 von Julia Weiss

Mit dem „Penthaus à la Parasit“ hat Jakob Wirth im Sommer Häuser von oben besetzt. Dazu wohnte er in einem winzigen Haus, das er ungefragt auf fremde Dächer stellte – zuletzt in Neukölln und in Mitte. Hier besiedelte er ein Wohnhaus mit Blick auf das Rote Rathaus und den Fernsehturm (wir berichteten). Ein Kunstprojekt als Protest gegen die Wohnungskrise. Nun plant er Größeres. Gemeinsam mit der Künstlerin Nora Spiekermann und fünf MitstreiterInnen will Wirth ein ganzes Dach zu einem öffentlich zugänglichen, soziokulturellen Raum umgestalten – mit Urban Gardening, Grillplätzen, Tischtennisplatten und vielleicht sogar einer Sauna.
Herr Wirth, wieso wollen Sie die Dächer Berlins besiedeln? Dächer gehören zu den letzten innerstädtischen Freiräumen. Der Druck auf die dichter werdende Stadt wächst. Berlin ist zwar mit Grünflächen gut versorgt, nachbarschaftlich gestaltbare Orte verschwinden aber immer mehr. Die meisten bezahlbaren Wohnungen besitzen keine Balkone, Terrassen oder Gärten. Mit der „Operation Himmelblick“ wollen wir das ändern. Sie könnte ein Pilotprojekt für Berlin werden. Die Belebung von Dächern kann Berlin lebenswerter und gerechter machen. So können mehr Menschen das Privileg der Dächer genießen.
Dafür suchen Sie nun nach einem geeigneten Dach. Was genau ist geplant? Wir möchten ein Berliner Plattenbau-Dach in einen nachbarschaftlichen Begegnungsort verwandeln. Es soll ein Ort werden, den die Hausbewohnenden aktiv gestalten, an dem sie sich treffen und vernetzen können. Wir wollen sie erst fragen, was sie sich wünschen, und dann Schritt für Schritt mit ihnen planen und umsetzen. Das können Bänke, Hochbeete, Tischtennisplatten, ein Grillplatz, ein Dachspäti oder eine Sauna sein. Das Dach soll auch für Menschen offen sein, die nicht in dem Plattenbau wohnen.
Was ist der Unterschied zu hippen Rooftop-Bars wie dem Klunkerkranich in Neukölln? Das Projekt soll nicht kommerziell sein und richtet sich primär an die Nachbarschaft. Dächer sind oft super privilegierte Orte. Lediglich ein paar hochpreisige Penthäuser, Bars oder private Dachterrassen haben dort einen Platz gefunden. Unser Projekt verwirklichen wir auch gerne in einer Gegend, in der sonst nicht viel los ist, die nicht hip ist und auch nicht hip werden soll.
Welche baulichen Voraussetzungen müssen für das Projekt erfüllt sein? Am besten geeignet sind die Dächer von Plattenbauten, weil sie die statischen Voraussetzungen mitbringen und oft gut über ein Treppenhaus zugänglich sind. Wir sind bereits mit Statikern im Gespräch, haben Architekten und Planer in unserem Team. Um das Dach begehbar zu machen, muss eine Terrasse mit Geländern gebaut werden.
Wie soll das Projekt finanziert werden? Wir wollen uns um Fördergelder bewerben. Auch beim Kampf gegen den Klimawandel können Dächer eine wichtige Rolle spielen. Die Senatsverwaltung für Umwelt hat im Herbst das Projekt „1000 grüne Dächer für Berlin“ ins Leben gerufen – eine Förderung für die Begrünung von Dächern. Das könnte gut zu uns passen und sich mit unserer Idee kombinieren lassen.
Sie sind Hausbesitzer und wollen Ihr Dach für das Projekt zur Verfügung stellen? Dann wenden Sie sich per Mail an post@operation-himmelblick.org. – Text: Julia Weiss
Foto: Julia Weiss
Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute@tagesspiegel.de
Diesen Text haben wir dem Newsletter für Mitte entnommen, der immer mittwochs erscheint. Kostenlos hier bestellen: leute.tagesspiegel.de.
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