Nachbarschaft

Veröffentlicht am 20.05.2020 von Madlen Haarbach

Bernd Ehnes ist einer der beiden Inhaber der Kiezdackelbar und -restaurants Posh Teckel in der Pflügerstraße 4. Außerdem ist Ehnes seit rund drei Jahren Bezirksbeauftragter des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) in Neukölln. Im Interview spricht er über Gastronomie in Zeiten von Corona und die schrittweise Wiedereröffnung der Restaurants seit vergangenem Freitag.

Herr Ehnes, wie ist die Stimmung unter Neuköllner Gastronom*innen? Der allgemeine Konsens ist, dass die Gastronomen sehr dankbar sind, dass es die Chance gibt, unter diesen Bedingungen zu öffnen. Letzten Endes ist das ja ein Vertrauensvorschuss der Politik. Das ist ein bisschen wie bei der Fußball Bundesliga: Jeder weiß, dass das kritisch ist und jeder weiß, dass das auch unfassbar schief gehen kann. Überall hört man ja, dass Cafés und Restaurants mit die Keimzellen Nummer Eins sind was Herdenbildung angeht. Aber die Öffnung wird auch kritisch gesehen, einschließlich von uns. Wir finden, dass diese Lockerungen eigentlich zu früh kommen. Lieber noch vier Wochen warten und dann mehr oder weniger wieder richtig loslegen, als jetzt Gefahr laufen, dass sich wieder viele Leute infizieren und man in zwei Wochen wieder alles schließen muss.

Wie funktioniert die Umsetzung der aktuellen Beschränkungen und Regelungen? Von der praktischen Anwendung her ist es wirklich nicht leicht, das umzusetzen. Man kann natürlich die Tische so ausrichten, dass die 1,50 Meter eingehalten werden, man kann die Regeln aufhängen und man kann jeden Gast grüßen, der kommt. Man nimmt den Gast ja in Empfang und sagt ihm, wo er sich hinsetzen soll. Das funktioniert auch alles. Sobald dann das Essen abgeschlossen ist und man doch noch bei einem zweiten Glas Wein sitzt – die Regeln da dann wirklich hundertprozentig immer umzusetzen ist tatsächlich nicht leicht. Aber die Leute sind sehr bemüht, sowohl die Gastronomen als auch die Gäste.

Wie lief das erste Wochenende? Kamen viele Menschen oder sind auch die Gäste noch eher zurückhaltend? Das hängt sehr davon ab, wie die Gastronomie aufgestellt ist. Es gibt natürlich viele Gäste, die gerade ein mulmiges Gefühl haben, sich in geschlossene Räume zu setzen. Umso mehr Außenbestuhlung man hat, umso leichter ist es natürlich. Wenn man zum Beispiel die „Ankerklause“ kennt, mit relativ viel Außenbestuhlung, da fühlen sich die Leute natürlich wohl. Und umso besser das Wetter wird, umso mehr haben die Gastronomen auch was davon. Wir zum Beispiel sind allerdings mehr Indoor-Gastronomie: Zu nicht-Corona-Zeiten haben wir fünf Quadratmeter, was fünf Tische bedeutet, jetzt haben wir noch drei. Im Rahmen unserer Möglichkeiten wurde das sehr gut angenommen. Und hätten wir mehr Möglichkeiten, bin ich mir auch sicher, dass es noch mehr angenommen würde. Auch die Gäste sind jetzt nach zwei Monaten wahnsinnig dankbar, dass man sich mal wieder hinsetzen und ein Getränk im Glas trinken kann und nicht mehr alles im Pappbecher ist. Dass man einfach mal wieder so ein Erlebnis hat, das sich so ein bisschen nach Normalität anfühlt.

Was halten Sie denn von der Idee aus Friedrichshain-Kreuzberg, der Gastronomie zu ermöglichen, Parkplätze für die Tische zu nutzen? Aus der Sicht der Gastronomen ist das natürlich ein Traum. Das ist ja auch das, was man sich zu nicht-Corona-Zeiten wünscht. Aus Sicht eines jeden Autofahrers natürlich ein Alptraum, das ist immer die Frage, wen man fragt. Ich als nicht besonders großer Autofreund fände es doppelt toll. Aber in Neukölln wird das nicht umgesetzt werden. Diese Regelung trifft jeder Bezirk ja für sich, da gibt es keine übergeordnete Order vom Senat. In Neukölln gibt es da erstmal keine Sonderrechte und wenn, dann wäre es eher so, dass man auf den Bürgersteigen nach links und rechts mehr Tische bauen dürfte.

Wie sind Sie mit dem Posh Teckel bislang durch die Krise gekommen? Wir sind bis jetzt eigentlich ganz gut durch die Krise gekommen. Wir haben ein bisschen früher geschlossen, als wir hätten schließen müssen, weil wir das einfach nicht mehr guten Gewissens machen konnten – wir wollten einfach nicht mehr Teil des Problems sein. Wir haben wirklich fantastische Stammgäste und die haben dann gleich von sich aus eine Crowdfunding-Kampagne für uns gestartet. Also ohne dass sie uns jetzt groß gefragt hätten, ob wir das wollen oder brauchen können. Wir hatten das Problem, dass wir die ersten Tage im März quasi kein Geld verdient haben – umso größer das Corona-Thema wurde, umso weniger Gäste hatten wir. Und wir wussten: Wenn wir jetzt eingefroren werden, können wir zum 1. April überhaupt nichts bezahlen, keine Miete für die Wohnung, keine Miete für den Laden, kein Strom, kein Gas, kein Garnichts.

Dann haben unsere Stammgäste wirklich innerhalb von 48 Stunden so viel Geld gesammelt, dass wir wussten: Okay, zum 1. April sind wir sicher. Das hat uns eine gute Erleichterung im Kopf verschafft. Dann kam irgendwann die Soforthilfe. Außerdem hat unsere Brauerei, die Schultheiss-Brauerei, zusammen mit Frank Zander auch eine Art Soforthilfe gestartet. Da konnten Kneipen vier Wochen lang 1000 Euro über einen Lostopf gewinnen, da hatten wir Glück und wurden gezogen.

Bei euch gibt es auch das sogenannte „Pendelbier“. Was steckt dahinter? Gemeinsam mit einer Kreuzberger Bar, dem Club 49 in der Ohlauer Straße, haben wir uns das Pendelbier einfallen lassen, weil die Leute solange die Gastronomie geschlossen hatte, ja nach Möglichkeit nicht vor den gastronomischen Betrieben stehen sollten. Damit unsere Gäste das nicht machen, haben wir das Pendelbier erfunden: Dabei kaufen die Leute zum Beispiel bei uns ein Bier, bekommen einen Stempel und gehen dann in den Club 49 – oder den Weg andersrum. Dadurch sollen sie den Weg möglichst oft hin und her laufen und eben nicht vor der Gastronomie stehen, Nachbarn nerven und Grüppchen bilden.

Ihr habt in den vergangenen Wochen auch Essen zum Mitnehmen verkauft. Ich muss ehrlich sagen, ich persönlich war bislang ein großer Fan von diesem To-Go-Prinzip, also dass wir unser Essen und unsere Getränke zum Fenster raus verkaufen. Das ist ein bisschen mehr Chancengleichheit zwischen den Restaurants. Einige wie die „Ankerklause“ haben jetzt natürlich einen Wettbewerbsvorteil, das ist ja auch okay. Aber bis jetzt hatten sich alle an die gleichen Spielregeln zu halten. Jetzt sind die baulichen Gegebenheiten der einzelnen Orte wieder mehr von Belang als es vorher der Fall war. Abgesehen davon ist es jetzt so ein Zwischending: Jetzt kann man mehr machen. Aber wenn man mehr macht ist die Frage: Braucht man dann wieder Personal? Bis jetzt konnte ich das alles alleine machen oder wir zu zweit als Inhaber. Ich habe das Gefühl, dass für uns persönlich die Krise jetzt erst richtig losgeht. Also ich glaube, dass für uns die schwierige Phase jetzt erst kommt. Unser Geld, was wir auf der Seite hatten, ist jetzt quasi aufgebraucht. Dann wird sich zeigen, ob wir mit unseren improvisierten sehr viel weniger Plätzen als wir normalerweise haben – und wir können jetzt gerade auch keine Partys machen oder Geburtstage ausrichten – durchkommen.

Foto: Bernd Ehnes gemeinsam mit Posh Teckel-Mitinhaberin Judith Schmitt, Quelle: privat.

 

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