Sport

Veröffentlicht am 18.03.2021 von Christian Hönicke

„Sanierung ernsthaft prüfen“: Grüne und Linke kritisieren Senat für Vorgehen am Jahn-Sportpark. Die Diskussion um die Zukunft des Jahn-Sportparks und besonders das Stadion (Sanierung/Neubau) geht weiter. Der Auftakt der Bürgerbeteiligung zog viel Kritik nach sich, auch in der rot-rot-grünen Koalition gab es Gesprächsbedarf. Linkspartei und Grüne kritisieren das Vorgehen des Senats und die einseitig auf einen Abriss des alten Stadions fokussierte erste Beteiligungsveranstaltung. Sie fordern ein Umdenken und eine ernsthafte Prüfung der Sanierungsoption.

„Der Senat ignoriert die Einigung der Koalitionspartner vom Herbst 2020″, sagt der sportpolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto. „Dieses Vorgehen schadet dem Projekt Jahnsportpark und untergräbt die Verlässlichkeit von Rot-Rot-Grün.“ Die Koalition habe im Herbst 2020 beschlossen, „dass der geplante Totalabriss des Großen Stadions gestoppt wird“, so Otto. In einem Werkstattverfahren sollten stattdessen Varianten für die Zukunft des gesamten Jahn-Sportparkes erarbeitet werden. Dies müsse nun endlich anlaufen, statt einseitig Werbung für den Abriss zu machen. [Der Text stammt aus dem aktuellen Pankow-Newsletter. Den können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Auch die Linkspartei sieht das so. „Wir müssen die Sanierung vertieft prüfen“, sagt deren sportpolitischer Sprecher Philipp Bertram. „Das darf nicht nur ein Pro-forma-Schauspiel sein, das würde der Sache nicht gerecht.“ Die Kritik an Art und Form der Bürgerbeteiligung, vor allem am als aggressiv empfundenen Auftreten der Senatssportverwaltung, teile er: „Das ist keine gute Grundlage für ein transparentes Verfahren gewesen.“

Man brauche nicht die Anwohner permanent davon überzeugen, warum man einen Neubau plane, sagt Bertram: „Das ist nicht Sinn und Zweck eines Beteiligungsverfahrens.“ Die kommenden Veranstaltungen müssten nun anders ablaufen: „Es ist seitens der Verwaltung hoffentlich das Bewusstsein da, dass man sich etwas verrannt hat.“

Grüne und Linke fordern insbesondere von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die das Planverfahren betreut, mehr Engagement. Die Verwaltung des Senators Sebastian Scheel (Linke) müsse „dringend ihrem Auftrag, nämlich Stadt zu entwickeln, nachkommen“, fordert Grünenpolitiker Otto. Der Linke Bertram sagt, die Verwaltung seines Parteikollegen Scheel „ist nicht nur Baudienststelle für die Sportverwaltung, sondern macht auch Stadtplanung. Dieser Verantwortung sollte sie am Jahn-Sportpark noch stärker gerecht werden.“

Die sportfachliche Sicht reiche bei diesem prominenten Standort im Zentrum der Stadt nicht aus, sagt Bertram. Es gebe stadtplanerische und stadtpolitische Fragen, „die hätten in den vergangenen Jahren eigentlich längst geklärt werden müssen. Das hat die Sportverwaltung aber ignoriert.“

Das angekündigte Werkstattverfahren soll diese Fragen nun beantworten. „Es muss nun endlich losgehen“, sagt Otto. Geprüft werden müssten dabei „Varianten zum Erhalt und Umbau des Großen Stadions, zur Rettung des Walls mit der Berliner Mauer und zur Schaffung von neuen Sportflächen für die kleinen Vereine und den Schulsport“. Anhand dieser Varianten sollten dann „eine Entscheidung über das zukünftige Gesicht des Sportparkes und die zu erhaltenden Baulichkeiten des heutigen Ensembles getroffen werden können“.

Wie genau dieses Varianten-Verfahren eigentlich ablaufen soll, kann aber bisher keiner der Beteiligten sagen. „Das Verfahren für den weiteren Planungsprozess wird derzeit konzipiert, so dass es auf die konkreten Fragen noch keine Antworten gibt“, teilt die Stadtentwicklungsverwaltung mit. Ziel sei es, „im Rahmen des städtebaulichen Dialogverfahrens zunächst den Umgang mit dem Stadion zu klären, um auf dieser Grundlage einen Rahmenplan für den gesamten Sportpark zu entwickeln“. Bisher stünden jedoch weder die Planerteams noch deren Aufgabenstellungen fest – beides werde „derzeit entwickelt“.

Grüne und Linke wollen darauf achten, dass es auch dabei keine Unwucht in Richtung Stadion-Neubau gibt. Insbesondere die Zusammensetzung der Planungsteams müsse „der Breite der Diskussion entsprechen“, sagt Bertram. „Es macht ja Sinn, nicht nur Architekten, sondern auch Landschaftsarchitekten und städtebauliche Planer zu beauftragen, die auch das Gesamtensemble in den Blick nehmen.“ Diese Teams müssten dann sich dann der Frage Stadionsanierung oder -neubau in Varianten widmen, „dabei kann man einzelne Planungsteams mit verschiedenen Varianten beauftragen“.

Die Sportverwaltung reagierte auf die Kritik bisher nicht und ließ auch mehrere Anfragen zum Thema Jahn-Sportpark unbeantwortet. Dafür hat sie inzwischen einen detaillierten Ausblick auf das von ihr gewünschte neue Stadion gegeben. Sie veröffentlichte das 65-seitige Lastenheft, das  Baufirmen als Planungsgrundlage dienen soll. Demnach soll der „Neubau des Stadions ab dem ersten Quartal 2022″ erfolgen: „Ziel ist die Fertigstellung des neuen Stadions im Jahr 2024.“

Die Vorgaben entsprechen dabei in weiten Teilen dem aktuellen Standard für Stadionneubauten. Zum Thema Inklusion heißt es, es sei „sicherzustellen, dass die selbstständige Nutzung aller Stadionbereiche auch durch Menschen mit Behinderung gewährleistet ist“. Grundsätzlich seien auch alle Stadionbereiche „barrierefrei auszuführen“.

Tatsächlich „inklusiv“ sollen dabei etwa 1.000 der 20.000 Zuschauerplätze werden. „Insgesamt sind etwa fünf Prozent der Plätze der Gesamtkapazität flexibel für Menschen mit besonderen Anforderungen auszulegen“, heißt es im Lastenheft. „Darin inbegriffen sind 200 Rollstuhlfahrerplätze. Nach Möglichkeit sind ebenfalls barrierefreie Stehplätze vorzusehen.“

Zum Vergleich: Im deutlich größeren Hertha-Olympiastadion gibt es 162 Rollstuhlplätze, in der Arena des FC Bayern München 227, bei Werder Bremen 120, in Dortmund 72, in der Alten Försterei beim 1. FC Union (das mit 22.000 ungefähr die Kapazität des Jahn-Stadions hat) nur 34. So steht es auf der Website www.barrierefrei-ins-stadion.de der DFL-Stiftung.

Ob dieser Standard auch im vor 70 Jahren durch den Bauhaus-Vertreter Rudolf Ortner entworfenen alten Jahn-Stadion erreicht werden kann, ist nun die Frage. Für die SPD ist die Antwort klar und der Abriss des alten Stadions zwingend notwendig. „Kein Architekt, kein Experte und kein Mensch mit Behinderungen glaubt, dass aus der Substanz der 1952 auf Schutt errichteten Cantianstadions ein barrierefreies, inklusives Stadion entstehen kann“, sagt der sportpolitische Sprecher Dennis Buchner.

Seit 2014 werde über die Weiterentwicklung des Jahn-Sportparks „zu einem inklusiven Sportpark geredet und geplant, auch schon mit Beteiligung der Öffentlichkeit“, so Buchner. Die Bedarfe der örtlichen Vereine und für den Schulsport seien stark gewachsen, Kinder aus der Nachbarschaft stünden beim Hockey und Fußball auf den Wartelisten.

Die Haltung insbesondere der Grünen zum Stadion sei „bemerkenswert. Sie verteidigen lieber das Interesse vieler zumeist zugezogener Anwohner, die Nutzung einer seit über 100 Jahren genutzten Sportanlage zu erschweren, als den so oft in Sonntagsreden genutzten Anspruch, beim Thema Inklusion und Barrierefreiheit voranzukommen.“

Dass die SPD-Koalitionspartner das Thema Inklusion zugunsten der Nimby-Interessen weniger ausbremsen, weist Linkspolitiker Bertram zurück. Im Moment sei die Frage Neubau oder Sanierung „eher ein Glaubensbekenntnis, ob das eine oder das andere besser ist“, sagt er. „Wir sind nicht per se für Neubau oder Sanierung.“

Die Linkspartei sei klar für den inklusiven Sportpark, sagt Bertram. „Die Frage, die bis heute keiner beantworten kann, ist die, ob das beim Stadion auch im Umbau möglich ist. Wenn das nicht geht, muss man die Tatsache anerkennen. Aber wir müssen es ordentlich untersuchen.“ Es müsse  bei der Neubau-Option auch geprüft werden, ob der aktuelle Standort an der denkmalgeschützten Hinterlandmauer der beste sei oder ein anderer nicht besser geeignet wäre.

Grüne und Linkspartei wollen ihr Votum vom Ausgang dieser Untersuchungen abhängig machen. Wie lange diese Untersuchungen dauern werden, ist derzeit wie vieles andere noch unklar. In der Koalitionsvereinbarung heißt es, die Ergebnisse sollten „bis zum III. Quartal 2021“ als Entscheidungsgrundlage für den anschließenden Realisierungswettbewerb vorliegen. Linkspolitiker Bertram sagt, er hoffe, dass dieser Termin eingehalten werden könne. „Aber es wäre auch nicht problematisch, wenn man sich für eine seriöse Betrachtung noch einen Monat mehr Zeit nimmt.“ – Text: Christian Hönicke

+++ Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Pankow entnommen. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de

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