Kiezgespräch
Veröffentlicht am 06.02.2020 von Christian Hönicke
Bei Auszug Cash: Häuserkampf trotz Milieuschutzgebiet. Die besten Altmieter sind gar keine Altmieter. Das ist offenbar das Motto der neuen Eigentümer des Hauses Schonensche Straße 41 an der Grenze von Pankow zu Prenzlauer Berg. Vertreter der Firma aus dem schönen Marktoberdorf im Ostallgäu kamen extra persönlich vorbei, um den Bewohnern einen freundlichen Rat zu geben: Sie sollen doch bitte ausziehen. Und zwar so schnell wie möglich.
Am 20. Dezember 2019 bekamen die Bewohner das auch schriftlich. In dem Brief werden „wie schon in einem persönlichen Gespräch angemerkt“ die „umfangreichen Sanierungsmaßnahmen“ bis Ende 2021 angekündigt. „Für Sie als Mieter bedeutet das eine unzumutbare Wohnsituation während der gesamten Sanierungsarbeiten (Dreck, Lärm, kein Strom, kein Wasser, kein Abwasser, keine Heizung) und einen Einschnitt in Ihre Privatsphäre (Bauarbeiten in der eigenen Wohnung).“
Aus diesem Grund „unterbreiten wir Ihnen folgendes Angebot: Sollte Ihre Kündigung bis zum 31.01.2020 bei uns eingehen und Sie bis zum 30.04.2020 das Mietverhältnis beenden sowie die Wohnung zurückgeben, sind wir bereit, Ihnen eine Entschädigungssumme in Höhe von 15 Nettokaltmieten (Nettokaltmiete pro Monat) + Ihren Umzug zu zahlen.“
Für jeden Monat, den die Mieter nach dem 30. April in der Wohnung bleiben, „verringert sich die Entschädigungssumme um 2 Nettokaltmiete (sic) + Umzugskosten“. Eine Familie, die seit 30 Jahren im Haus lebt, sollte laut Zeugenaussagen von einem Eigentümer persönlich dazu bewegt werden, für eine Entschädigung von 2500 Euro ihre Wohnungskündigung zu unterschreiben. Die Mieter berichten, dass bereits zwei der elf Wohnungen leer stehen und nicht neu vermietet werden.
Dabei befindet sich das Haus im Sozialen Erhaltungsgebiet Pankow-Süd. So ein Milieuschutzgebiet soll verhindern, dass die Wohnbevölkerung durch teure Modernisierungsmaßnahmen verdrängt wird. Der zuständige Stadtrat Vollrad Kuhn (B’90/Grüne) ließ im März 2019 die Ausübung des Vorkaufsrechts für das Haus prüfen, nahm davon jedoch wegen des „sehr schlechten baulichen Zustands“ und des hohen Kaufpreises Abstand. Man vermutete massiven Schwammbefall.
Die neuen Eigentümer ließen sich davon nicht abschrecken. Das Haus sei mit seiner „museumsreifen DDR-Technik“ zwar „für die Mieter, den Vermieter und auch für die Umwelt eine Belastung“, teilen sie auf Anfrage mit. Dennoch soll umfassend saniert werden, um es „wieder in altem Glanze erstrahlen zu lassen“ – inklusive nagelneuer Penthouses. Vor dem Gebäude künden nach Angaben der Bewohner nun Parkverbotsschilder von den bevorstehenden Bauarbeiten. Sie sollen bis Juli 2021 dauern. „Das Bauamt selbst unterstützt unser Vorhaben und heißt die kommenden Modernisierungen gut“, erklären die Eigentümer.
Eine Anfrage beim Pankower Bezirksamt ergibt ein anderes Bild. Amtliche Bauexperten sehen hier ein typisches Beispiel der „Fix-&-Flip-Strategie“. Dabei wird eine sanierungsbedürftige Immobilie in kürzester Zeit spekulativ aufgewertet, um sie mit hohem Gewinn wieder verkaufen zu können. Alternativ erfolgt nach Ablauf der gesetzlichen Wartezeit von sieben Jahren die Aufteilung in Eigentumswohnungen, die dann einzeln veräußert werden – in seltenen Fällen wird auch wieder neu vermietet. Dass es in der Tat ihr Geschäftsmodell ist, „Immobilien aufzuwerten“, teilen die Eigentümer unverblümt auf ihrer Website mit. Man wolle so „bezahlbaren Wohnraum für Jung und Alt“ schaffen.
Doch bezahlbarer Wohnraum entsteht beim „Immobilien-Flipping“ selten. Im Gegenteil: Durch Mieter mit günstigen Altverträgen lassen sich die Investitionen nicht amortisieren – sie müssen raus. Das Cash-gegen-Auszug-„Angebot“ ist dabei ein übliches erstes Werkzeug, bevor in der Regel zu drastischeren Instrumenten gegriffen wird. So ist auch die Ankündigung zu verstehen, man wolle die Wohnungen und die geplanten neuen Penthouses in der Schonenschen Straße „wieder Mietern des Kiezes zuzuführen“ – also neuen Bewohnern, die mehr zahlen.
Die Eigentümer wollen die Bewohner „offenbar verunsichern und zur Aufgabe bewegen, um die Wohnungen frei zu bekommen und besser vermarkten zu können“, glaubt auch Stadtrat Kuhn. Das teilte er unlängst den Bewohnern mit. Das Vorgehen der Eigentümer bezeichnete er als „Frechheit“. Auf Tagesspiegel-Anfrage drückt er sich diplomatischer aus: „Wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Eigentümer über privatrechtliche Regelungen Mieter zum Auszug bewegen will, so widerspricht dies ganz eindeutig den Zielen des Sozialen Erhaltungsrechts.“
Das Bezirksamt werde Baumaßnahmen genau prüfen und „nur genehmigen, wenn alle Prüfkriterien, die für das soziale Erhaltungsgebiet gelten, eingehalten werden“, verspricht Kuhn. Doch die Macht des Bezirks ist begrenzt. Weil das Milieuschutzrecht nur bauliche Maßnahmen reglementiert, kann er wenig mehr tun, als den Mietern zum Durchhalten zu raten. Kuhn verweist auf die Mieterberatung Prenzlauer Berg, wo man sich kostenlos mietrechtlich beraten lassen könne. Wie schwer es ist, der Zermürbungstaktik seiner Vermieter standzuhalten, wissen Bewohner der Gleimstraße 52 und der Schönhauser Allee 90.
Die neuen Eigentümer der Schonenschen Straße 41 sehen sich dagegen selbst als Opfer renitenter Mieter. Man habe Gespräche mit ihnen gesucht, „um uns als Vermieter vorzustellen, die Angst zu nehmen, die Situation aufzuzeigen, die in nächster Zeit auf alle Mieter zukommen wird und um gemeinsame Kompromisslösungen zu finden“, teilen sie mit. Doch: „Uns werden Steine in den Weg gelegt und es besteht auch keine Scheu, die Zeitungen dafür zu instrumentalisieren. In manchen Fällen wurden wir aktiv mit überzogenen Forderungen konfrontiert, wodurch manche Mieter sich finanziell an der Lage bereichern wollten.“
Man könne und wolle die Mieter nicht zwingen, während der Vollsanierung im Haus wohnen zu bleiben oder auszuziehen. „Ein Auszug wird aufgrund der zukünftig stark beeinträchtigten Wohnverhältnisse lediglich empfohlen.“ Wohl dem, der solch wohlmeinende Vermieter hat. – Text: Christian Hönicke
Diesen Text haben wir dem neuen Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Pankow entnommen. Den gibt es in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de
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