Intro
von André Görke
Veröffentlicht am 16.02.2021
Es gibt abgefahrene Nachrichten aus dem Berliner Westen. Die U-Bahnlinie U7 rutscht in den Millionen-Plänen weit nach vorn und ist am heutigen Dienstagmittag Thema im politischen Berlin. Berlins Verkehrschefin Regine Günther, Grüne, befasst sich mit den Ergebnissen von „Machbarkeitsstudien“ zu vier neuen U-Bahn-Strecken in der ganzen Stadt – darunter auch die U7 nach Staaken. Die einzelnen Studien liegen seit Herbst vor. Und jetzt ist auch das Ergebnis da: Die U-Bahnverlängerung in Spandau schneidet im Vergleich dieser vier Strecken überraschend gut ab.
„Als Spandauer freue ich mich sehr“, sagte mir eben Berlins SPD-Chef Raed Saleh. Er ist in Spandau aufgewachsen, hat die Lily-Braun-Schule besucht, führte zwölf Jahre die „Burger King“-Filiale in der Altstadt und wohnt in Kladow. Saleh hatte im Herbst massiv für die U-Bahn-Verlängerung nach Staaken geworben. „Ich kenne mich in diesem Gebiet gut aus“, sagt Saleh und meint damit die Altbaukieze der Wilhelmstadt, die Neubausiedlung in Staaken, aber auch den möglichen Umsteigeknoten für die Kladower und Gatower an der Heerstraße.
Mit 40.000 Fahrgästen wird auf diesem U7-Abschnitt kalkuliert – und damit mehr als auf den anderen untersuchten U-Bahnrouten in Spandau. Die U-Bahn könnte so viele Busse wie sonst nirgends in Stadt ersetzen: Das verhedderte Rathaus Spandau ist längst Berlins Busknoten No.1 – dort halten mehr Fahrzeuge als am Bahnhof Zoo. Der Bedarf ist im Westen hoch: Die Heerstraße ist chronisch verstopft. Dort werden zudem Busspuren und Radwege geprüft – dafür würde eine Autospur wegfallen.
„Es würde zehntausenden Menschen das Leben erleichtern und sie zum Umstieg vom Auto auf den ÖPNV motivieren“, sagte mir Saleh mit Blick auf die Senatssitzung von Verkehrssenatorin Regine Günther, Grüne. „Für die Verlängerung der U7 hat die Berliner SPD seit Jahren gekämpft. Die Entscheidung von Frau Günther begrüße ich. Sie beweist großen Respekt gegenüber den Außenbezirken und den Menschen dort.“
Bei so viel Nettigkeit aus Spandau ist Frau Günther bestimmt ganz perplex. Die hat ihre Hausaufgaben in diesem Fall gut gemacht. Das zeigt ein Blick in die Senatsakten und in die Machbarkeitstudie, die mir vorliegt. Es geht um diese 5 U-Bahnhöfe.
- Ziegelhof
- Pichelsdorfer Straße
- Gatower Straße
- Sandstraße
- Magistratsweg
ZIEGELHOF
Der erste neue U-Bahnhof soll südlich der Seeburger Straße entstehen, quasi vor dem Supermarkt „Bolu“. Und ein langer Tunnelabschnitt ist bereits fast fertig. Der U-Bahntunnel reicht heute 600 Meter weit bis zu „Florida Eis“ an der Klosterstraße: Dort unten parken die U-Bahnzüge und fahren zurück in die Stadt. Hier am Ziegelhof beginnt aber die Überraschung. Geprüft wurden demnach drei Tunnel-Varianten.
- 1.) Westroute: Geradeaus unter der Wilhelmstraße mit einem U-Bahnhof am Melanchthonplatz (Wasserballarena) und weiter nach Westen. Kosten: 480 Mio.
- 2.) Mittelroute: Im leichten Bogen mit einem Halt am U-Bahnhof unter dem Földerichplatz. Kosten: 555 Mio.
- 3.) Ostroute: Im weiten Bogen über die Pichelsdorfer Straße. Kosten: 578 Mio.
PICHELSDORFER STRASSE
U-Bahnhof an der wichtigsten Kreuzung. Überraschend liegt die teuerste „Variante 3“ im Senatsranking vorn – so werden aber auch am meisten Menschen erreicht (70.000 Spandauer). Überraschend ist auch der bislang unbekannte U-Bahnhof Pichelsdorfer Straße, den die „Morgenpost“ nun als erste nannte. Aber wo denn konkret? Spandaus einst so stolze Einkaufsmeile ist schließlich lang. Nach Informationen des Spandau-Newsletters ist die Kreuzung Adamstraße Ecke Pichelsdorfer Straße gemeint, also der Mittelpunkt der Wilhelmstadt. Dort kreuzen sich die zwei wichtigsten Kiez- und Einkaufsstraßen. Der U-Bahnhof ist in den Senatsakten südlich der Adamstraße eingezeichnet und reicht fast bis zur Pichelsdorfer Ecke Weverstraße.
GATOWER STRASSE
U-Bahnhof statt Autohaus und Hühner-Braterei? Die Tunnelbohrmaschine würde sich von der Pichelsdorfer im Bogen zur Heerstraße graben, wo ein Umsteigeknoten für die Kladower und Gatower entstehen könnte. Wo genau? Einige an den BVG-Hof grenzenden Flächen sind zwar verpachtet (Autohaus, Hühner-Braterei ff.), es könne aber „Eigenbedarf“ auf diesem BVG-Gelände angemeldet werden. Das ging im Frühjahr 2020 aus einer Studie hervor, die hier im Spandau-Newsletter Thema war. Der neue U-Bahnhof würde genau an der Ecke entstehen. Wo eine U-Bahn entsteht, wird oben drüber Busverkehr eingespart – die fahren ja nicht parallel: Das wird als großer Pluspunkt in der Senatsstudie gesehen. Also müssten hier an der Gatower Straße Wendeschleifen für BVG-Busse aus Kladow und Potsdam entstehen sowie Fahrradparkhäuser und Carsharing-Systeme. Nachteil: Die Kreuzung müsste während der Bauphase zu großen Teilen gesperrt werden.
SANDSTRASSE
Unter dem breiten Grünstreifen neben der Heerstraße rollt die U-Bahn nach Westen. Bis zur Gatower Straße ging es drei Kilometer mit dem Tunnelbohrer voran, von dort wird in einer Baugrube gebuddelt, auf die später ein Deckel kommt. Der nächste Bahnhof ist eingezeichnet an der „Sandstraße“ – östlich davon, auf Höhe der Laurentiuskirche.
MAGISTRATSWEG
Der Endbahnhof wäre nach 8 Minuten Fahrzeit vom Rathaus erreicht. Entstehen soll er östlich der Kreuzung, ebenfalls im Grünstreifen neben der Heerstraße. Die Kosten pro Fahrgast liegen umgerechnet unter denen für die U6 zum TXL oder die U7 zum BER. Baukosten pro Kilometer: 135 Millionen. Auch dieser Wert liegt auf Platz 2 im Berlin-Vergleich.
Die Reaktionen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop ist dafür, Regine Günther ist mittlerweile offenbar nicht mehr dagegen, Bürgermeisterkandidatin Bettina Jarasch äußert sich nicht klar. Die Linke setzt traditionell auf die billigere Straßenbahn. CDU und FDP waren immer für den U-Bahnbau, deshalb ist Stadtrat Frank Bewig, CDU, auch leicht verstimmt. Er zweifele so kurz vor der Wahl „an der Ernsthaftigkeit“ der Senatsstudie und fürchtet ein „wahltaktisches Manöver“. Die AfD findet U-Bahn gut.
Der Ausblick. Regine Günther informierte heute die Berliner Politik, dass aufgrund des hohen Fahrgastpotentials und der vielen Einsparungen im Busverkehr eine Nutzen-Kosten-Untersuchung prioritär zu beauftragen ist. Andere U-Bahnpläne sind erst einmal zurückzustellen, weil alles zusammen nicht machbar ist. Es gibt schließlich noch andere Projekte bei der S-Bahn, die auch Spandau betreffen: zum Beispiel die Verlängerung der S-Bahn nach Falkensee oder die S-Bahnverlängerung in die Wasserstadt. Angeschoben wurde viel – jetzt darf kein Projekt auf der Strecke bleiben.
„Der Ausbau von S- und U-Bahn passen bestens zusammen“, sagte mir eben noch Daniel Buchholz. Er ist seit Jahren Verkehrsexperte der Berliner SPD im Abgeordnetenhaus. „Sowohl S- als auch U-Bahn sind für die Anbindung der vorhandenen und neuen Quartiere in Spandau dringend notwendig. Die Baustellen wären an verschiedenen Stellen des Bezirks und damit kompatibel.“ Falls Sie jetzt die Daumen drücken – halten Sie durch. „Wenn alle es wirklich wollen“, sagt Buchholz, „kann eine U-Bahn in 15 Jahren fahren.“ – Text: André Görke
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Dieser Text stammt aus dem Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau. Immer konkret und hier kostenlos in voller Länge: leute.tagesspiegel.de
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