Kiezkamera

Veröffentlicht am 18.02.2020 von André Görke

Zwischen diesen beiden Bildern liegen 30 Jahre. Das linke Foto aus dem Luftwaffenmuseum Berlin-Gatow (Infos hier) zeigt die Potsdamer Chaussee in den 80ern. Vorn die Straße in West-Berlin, dahinter der DDR-Todesstreifen mit Zäunen, Wachtürmen, Hunden. Das rechte Foto zeigt den Grenzstreifen im Februar 2020: überall gefällte Bäume.  

Seit Wochen wird auf dem kilometerlangen Abschnitt von Spandau nach Potsdam gesägt. Tausende Bäume wurden gefällt. „Was machen die da?“, fragten Leserinnen und Leser des Spandau-Newsletters. „Bauen die da eine Straßenbahn?“

„Wer ist denn zuständig?“ Ich telefonierte mit dem Bezirk („Wir fällen da nix“), mit der Stadt Potsdam („Wir fällen da nix“), mit dem Senat („Wir fällen da nix“). Ich telefonierte mit Forstämtern in Spandau und Berlin, Potsdam und Brandenburg. Alle so: „Wir fällen da nix.“ Als ich mich schon so richtig auf dem Holzweg fühlte, kam der entscheidende Tipp: „Das Waldstück gehört dem Bundesforst.“ Noch nie etwas von dieser Behörde gehört. Aber der Bundesforst gehört zur Bima, der „Bundesanstalt für Immobilienaufgaben“.

Und dann, endlich, rief mich diese Woche der Chef beim Tagesspiegel an. Sein Name: Rainer Entrup, Leiter des Bundesforstbetriebes Westbrandenburg („früher sprach man von Oberförstern“). Sein Einsatzgebiet: „Alles westlich von der B96 im Norden und westlich der A9 im Süden – ein Waldgebiet groß wie 50.000 Fußballfelder.“

Was passiert da also an der Potsdamer Chaussee, Herr Entrup? „Wir bauen keine neue Straße“, sagt Entrup erst einmal. Es ist vielmehr so: Um diese kilometerlange Wunde im Wald rund um West-Berlin zu schließen, ließ man auf dem DDR-Grenzstreifen ab 1990 Kiefern sprießen – die wachsen sehr schnell. Und jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, rücken erstmals Förster systematisch zur Pflege an: „Wir sprechen von der Erst-Durchforstung. Die Bäume stehen stramm und dicht nebeneinander wie die Zinnsoldaten. Die brauchen Licht und Luft. Sie haben nur oben Nadeln und kaum ausladende Äste. Das ist völlig in Ordnung, sie sollen sich ja gerade zum Himmel strecken. Das Holz ist ohne Äste weniger brüchig. Daher – aufgepasst – kommt das Wort astrein.“ Und weil in der Vogelbrutzeit nicht gesägt werden darf, rücken die Fachleute vor dem Frühjahr an.

Die schwachen Bäume werden jetzt entnommen. Manche Bäume sind dünn wie Bierdeckel und haben den Konkurrenzkampf verloren. Sie werden in kürzere Stämme zersägt und landen beispielsweise bei einer Firma in Wittstock an der Autobahn A24. Die macht daraus OSB-Platten. Die anderen Bäume an der Potsdamer Chaussee wachsen weiter: 60, 70, 80, 100 Jahre und werden immer dicker (wenn kein gefräßiger Käfer dazwischenkommt). Irgendwann ist dann wieder eine Holzernte, und dann können aus den dickeren Stämmen am Ende Möbel hergestellt werden. Wird nachgepflanzt? Nein. „Das ist keine klassische Nadelholz-Plantage“, sagt Entrup. Wenn dort eine Eiche zwischen den Kiefern wächst, haben nicht Entrups Kollegen, sondern Eichelhäher eine Eichel fallen lassen. Natur halt.

Was sollen die Schneisen im Wald? Die Förster bauen keine Straßen für Autos und BVG-Busse, sondern Waldwege: „Rückegassen“. Vielleicht kennen Sie Rückepferde, die Holz aus dem Wald holen (Kollege Thomas Loy hat im Südost-Newsletter mal zwei porträtiert). Das Schneiden im Wald übernehmen Harvester. Das sind diese ulkigen Maschinen, die sich durch den Wald schlängeln und extrem gelenkig sind – hier ein Foto von der Tesla-Baustelle. „Diese Straßen sind wichtig für uns Förster. Wir wollen mit unserem schweren Gerät nicht kreuz und quer über den Waldboden rollen, sondern immer nur auf bestimmten und immer gleichen Wegen arbeiten. Diese Wege werden später wieder mit jungen Bäumen zuwachsen. Aber wenn wir an der Potsdamer Chaussee in zehn Jahren wieder ran müssen, dann genau von diesen Wegen aus.“

Trockenstress, Wunden und Schleim im Wald. Direkt an der Potsdamer Chaussee werden auch Laubbäume gefällt. Die sind der Bundesstraße zu nahe gekommen („klassische Verkehrssicherung“). Und dann ist da noch die Hitze – üble Sache und überall zu sehen. „Nicht nur der Sturm der letzten Jahre hat dem Wald geschadet, sondern vor allem die Hitze. Wir sprechen von Trockenstress“, erzählt Entrup. „Wir sehen jetzt die Folge der trockenen Sommer und sind in banger Erwartung, was da noch kommt.“ Worauf die Förster gucken? „Wir achten auf die Nadeln, ob die noch grün sind. Ob die Rinde abfällt. Ob die Krone plötzlich arg ausgelichtet ist. Oder ob schwarzer Schleim aus einem Riss in der Rinde austritt… dann hat dieser Baum keine Zukunft mehr.“ Den Platz überlassen sie lieber den gesunden Bäumen daneben. – Text: André Görke
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