Namen & Neues
Familienfreundliche BVV-Arbeit: Zwei Ehepaare berichten
Veröffentlicht am 05.02.2019 von André Görke
Als wir neulich im Spandau-Newsletter erzählt haben, dass die 55 Bezirksverordneten tagsüber einen normalen Job haben und sich abends in ihrer Freizeit ins Rathaus setzen, um über Kitas, Ampeln, Anwohnersorgen zu diskutieren, gab’s Verwunderung. Tenor: „Die haben noch einen normalen Job?“ Und dass die Bezirksverordneten kein Vermögen erhalten, wenn sie fünf Stunden lang an der wichtigsten Bezirksversammlung von Spandau (240.000 Einwohner) teilnehmen, wurde ebenso mit Verwunderung aufgenommen. Tenor: „Ist nicht so viel…“ Klar, alle Bezirksverordneten von Linke bis CDU, von Grüne bis SPD machen diese Arbeit freiwillig und aus Freude an der Politik. Aber diese Arbeit muss attraktiv bleiben, damit auch weiterhin Spandauer für Ihre Anwohnerbelange eintreten. In Tempelhof-Schöneberg haben Bezirksverordnete der Grünen eine kleine, aber spannende Debatte losgetreten: Geht BVV-Arbeit auch familienfreundlich? In Steglitz-Zehlendorf wurde diese Debatte aufgegriffen. Und auch wir in Spandau haben uns unter BVV-Politikern umgehört (nächste Woche geht’s weiter). Zwei Familien berichten heute im Spandau-Newsletter über ihre Arbeit. Hören wir Ihnen mal zu.
Linke: „Es handelt sich immer noch um ein Ehrenamt.“ Chef der Linken im Rathaus Spandau ist Lars Leschewitz (Foto), seine Frau Franziska Leschewitz (Foto) gehört ebenfalls zur BVV-Fraktion. Er sitzt in sechs Ausschüssen, sie in fünf. Wie, bitteschön, geht das als Familie? „Auch wenn meine Frau und ich noch nicht von Kinderbetreuung und Pflegepflichten betroffen sind, empfinden wir die Arbeitszeiten und die Belastung nicht als sehr familienfreundlich. Sitzungszeiten zu begrenzen, ist aus unserer Sicht sinnvoll. Im Bauausschuss wird es inzwischen nach interfraktioneller Absprache schon so gehandhabt, dass nach zwei Stunden Schluss sein soll. Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach und es handelt sich immer noch um ein Ehrenamt. Die BVV selbst tagt auch schon mal bis 23 Uhr. Das ist wirklich lang. Gerade für kleine Fraktionen kommt zudem das Problem hinzu, dass viel Arbeit auf wenige Schultern verteilt wird. Bei uns hat jede oder jeder bis zu sechs Ausschüsse zu bewältigen, in manchen Wochen haben wir allein vier bis fünf Termine der BVV: Fraktionssitzung, Ausschüsse, BVV-Sitzung. Und nicht nur die Sitzungszeiten sind ein Problem: Dazu kommt die notwendige Vorbereitung, Recherche zu unbekannten Themen, Absprachen mit der Fraktion, Absprachen mit anderen Parteien, Bürgergespräche und die ganzen Veranstaltungen der Partei, der gegenüber man ja auch Rechenschaft über seine Arbeit ablegen muss. Die Aufwandsentschädigung, die man erhält, ist zwar nicht gering, aber umgerechnet auf einen Stundenlohn – wenn man so will – auch nicht besonders. Übrigens zahlen wir davon auch einen Mandatsträgerbeitrag an die Partei. Und Hartz-IV-Betroffene werden von dem Ehrenamt immer noch abgeschreckt, weil die Aufwandsentschädigung auf ihren Regelsatz angerechnet wird – ein Unding. Aber wir wollen nicht nur meckern: Die Arbeit als Teil der Verwaltung ist wichtig und macht teilweise auch Spaß. Eine Aufwertung der Rechte der Bezirksverordnetenversammlung und des Bezirksamtes halten wir aber für notwendig.“
CDU: „Sie gehen nebenbei arbeiten? Nein, andersrum.“ Auch bei der CDU gibt es ein Ehepaar: die Familie Meißner. Arndt Meißner (Foto) ist seit 2006 der Fraktionschef; Bettina Meißner (Foto) gehört der CDU-Fraktion auch schon fast 20 Jahre an. „Wenn ich als CDU-Fraktionschef bei Kiezveranstaltungen bin und dann irgendwann sage: Sorry, ich muss los, ich muss morgens um 6 Uhr raus, ich bin Polizist, da gucken mich die Leute irritiert an: Wie? Sie arbeiten noch neben der Politik? Nein, es ist andersrum. Ich mache Politik neben meiner Arbeit“, erzählt Arndt Meißner. „Diese BVV-Arbeit ist leider gar nicht familienfreundlich. Ich könnte ohne Probleme daraus eine politische 40-Stunden-Woche machen. Wir reden als Bezirksverordnete über den Millionen-Haushalt, über Kontrolle, über Anwohneranträge, über Themen, in die wir uns erst einarbeiten müssen. Aber wir sind ein Feierabend-Parlament – wir machen das alles nebenbei. Ohne die Hilfe unserer Großeltern wäre das auch mit unserem Kind sehr schwierig. Ich will aber nicht klagen, ich habe sogar Glück. Hart ist es für kleine Fraktionen wie bei den Linken, die ständig in Ausschüssen sitzen müssen. Ich habe einen Arbeitgeber im öffentlichen Dienst, der mich auch mal freistellt. Meine Frau ist Bankkauffrau, die muss das alles nacharbeiten. Ich sehe sie manchmal das erste Mal am Tag im Rathaus. Es gab mal die Debatte, früher zu arbeiten, damit alle auch früher bei ihrer Familie sind – aber das geht nicht. Wir tagen meistens um 17 Uhr, also geht es los mit der Vorbereitung um 16 Uhr. Wenn wir schon um 15 Uhr loslegen sollen, sammeln sich ja noch mehr Minusstunden beim Arbeitgeber an. Das kann sich keiner leisten. Später geht auch nicht: Viele von uns müssen um 6 Uhr wieder raus. Zum Glück haben wir mehr Geld bekommen, damit uns mehr Personal bei der Arbeit unterstützen kann. Wir haben früher übrigens bis halb zwei in der Nacht in der BVV gesessen, das war echt nicht normal. Das haben wir begrenzt. Trotzdem, ohne politischen Enthusiasmus geht so ein Ehrenamt nicht. Heilig sind uns beiden die Ferien. Da können wir als Familie verreisen.“ – Autor: André Görke
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Dieser Text ist ein Ausschnitt aus dem neuen Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. Komplett und kostenlos lesen unter leute.tagesspiegel.de