Namen & Neues

Neue Zahlen: So tief sinkt der Glienicker See

Veröffentlicht am 27.10.2020 von André Görke

Neue Zahlen: So tief sinkt der Glienicker See. Immer wieder stehen Spandauer ratlos am Ufer und gucken auf den Glienicker See. Die Wasserlinie liegt mittlerweile weit vom Ufer entfernt, Schilf wächst im Trockenen, die Stege hängen in der Luft. „Was passiert hier?!“ Gestern Abend habe ich mir die neuen Daten des Senats angeschaut – und die sind wirklich schlimm. „Der Pegel des Sees ist seit dem Frühjahr 1970 um knapp 1,80 Meter gesunken“, berichtete ich einst im Tagesspiegel und verwies auf die Zahlen von 2016.

Vier Jahre später muss ich diesen Vergleich korrigieren: Es ist schlimmer. Der Pegel des Sees ist seit dem höchsten gemessenen Wert damals im Frühjahr 1970 um mittlerweile 2,30 Meter gesunken. Hier die Vergleichswerte, auf die ich mich beziehe:

  • 32,1 Meter im April 1970 (Höchstwert)
  • 31,7 Meter im Oktober 1970
  • 31,5 Meter im Oktober 1980
  • 31,2 Meter im Oktober 1990
  • 30,9 Meter im Oktober 2000
  • 30,6 Meter im Oktober 2010
  • 29,8 Meter im Oktober 2020 („Tagesmittelwerte“, immer über dem Meeresspiegel)
  • Quelle: Wasserportal des Landes Berlins

Aber woran liegt das? Die Anrainer des Glienicker Sees sind irritiert. Irgendwer streut anonym Gerüchte, Anwohner pumpten den Badesee leer, damit die Wiese im Garten immer schön grün ist („getarnte Rohre“ – „erstaunlich gepflegter Rasen“ – „gehobene Anwesen“ etc.). Sie vergrößerten so außerdem ihre Grundstücke. Kann das sein? Nee, sagt der zuständige Stadtrat. Nee, sagt das Fachamt. Nee, sagen Gartenbesitzer. Die Geschichte hatte mein Kollege Robert Klages hier letztens aufgegriffen, und jetzt gibt es eine Fortsetzung.

Der Bürgerverein am Glienicker See wehrt sich. „Als Vorsitzende der Bürgerinitiative-Pro-Groß-Glienicker-See e.V., in der die Mehrzahl der Seeanlieger auf der Berliner Seite Mitglied ist, wurde auch ich bereits vor einigen Monaten mit dem von Ihnen benannten Gerücht ‚Wasserdiebstahl durch Seeanlieger‘ konfrontiert“, schreibt jetzt Anjuschka Wagner („Nix mit Watergate“) in ihrem Brief an den Spandau-Newsletter. Hier einige Auszüge:

  • „Nach einer aktuellen Zählung im Oktober 2020 gibt es seitens der Anlieger max. 53 Seestege. Erst vor Kurzem haben wir im Rahmen eines Seemonitorings das ganze Ufer auf der Berliner Seite abgerudert und dabei an keinem der Stege eine „Wasserentnahmestelle“ entdeckt. Es kann gegebenenfalls also nur im Einzelfall zu Wasserentnahmen kommen, für die nicht alle Seeanlieger pauschal verantwortlich gemacht werden dürfen.
  • Der Wasserstand ist mittlerweile ohne Zutun von uns Anliegern so besorgniserregend gesunken, dass es allerhöchste Zeit wird, auch behördlicherseits den wirklichen Ursachen für die rapide voranschreitende Verlandung des Sees nachzugehen.
  • Es ist offensichtlich, dass der Wasserverlust am Groß Glienicker See gravierender ist als an vergleichbaren Seen. Die damit verbundene Bedrohung und die mit ihr einhergehenden negativen Veränderungen sind am Groß Glienicker See allerorts zu beobachten.
  • Deshalb engagieren sich einzelne Anliegerinnen und Anlieger sowie unsere Bürgerinitiative seit vielen Jahren, um das Bezirksamt für unsere Aufklärungsbemühungen zu interessieren. So haben wir beispielsweise im letzten Jahr eine Petition erarbeitet, die die Seeveränderungen dokumentiert und auch zahlreiche Vorschläge zur Verbesserung der Situation vorstellt.
  • Die Anliegerinnen und Anlieger für den Notstand des Sees verantwortlich zu machen, erscheint angesichts solcher Bemühungen unsererseits geradezu grotesk, ganz abgesehen davon, dass solche Anschuldigungen wirklich jeglicher Grundlage entbehren, ganz im Gegenteil als üble Nachrede der PDF-Verfasserinnen und Verfasser eingestuft werden müssen.“

Aber warum sinkt der Pegel? An der Landesgrenze zu Potsdam verlief einst ein Zufluss zum Sacrower See (und von dort weiter in die Havel). Doch der Zufluss ist seit 1986 gesperrt, ausgetrocknet und heute längst ein Graben – hier ein Foto. Auch der oft vergessene Tümpel zwischen dem Glienicker und Sacrower Seen sieht wie ein Krater aus. Weitere Gründe: Vom Flughafen und von den Straßen fließt kaum noch Wasser in den See. Die Nachbarn sind mittlerweile alle an die Kanalisation angeschlossen. Grundwasser wird abgepumpt, und im Sommer verdunstet viel zu viel durch die enorme Hitze – der Klimawandel. Folge: Die Stege schweben weit über dem Wasser. Stadtrat Andreas Otti, AfD, verwies letztes Jahr auf die Senatsverwaltung von Regine Günther, Grüne.

„Seitdem ist leider auch von dieser Seite keinerlei Klärung erfolgt“, klagt Anjuschka Wagner jetzt vom Kladower Bürgerverein. Ihr Hilferuf: „Es muss jetzt schnellstmöglich eine konstruktive Lösung erarbeitet werden, denn eins ist unumstritten: Der See hat ein Problem, und zwar ein sehr großes.“ Und nicht nur Wasser, das verdunstet.

Klo, Lagerfeuer, Party. Schon im Februar hatte ich hier im Newsletter über die Bürgerinitiative berichtet. Ihre Beobachtung: Wenn sich die Seelinie zurückzieht, zerstören Besucher das neue Ufer, trampeln Schilf nieder, verbrennen Reisig als Lagerfeuer-Material und nutzen die Uferböschung als Klo (weil die WC-Container an der Straße echt ekelhaft sind). Die Gänse auf den zwei kleinen, gesperrten Inseln seien bereits vertrieben worden, weil dort Leute mit dem Tretboot hinfahren und dort campieren, sich sonnen oder abends Party machen.

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Dieser Text erschien zuerst im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau. Den gibt es kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de
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