Nachbarschaft
Veröffentlicht am 07.04.2020 von André Görke
Karsten Dierks, 60, ist der wichtigste evangelische Pfarrer in Berlin-Spandau, tief im Westen der Stadt.
Wer ist der Mann eigentlich? Dierks ist 1992 nach Spandau gekommen, war 10 Jahre Pfarrer in der ev. Kirchengemeinde Siemensstadt, 12 Jahre in St. Nikolai und ist seit 2014 Pfarrer der Luther-Kirchengemeinde in der Neustadt. Dierks ist der Vorsitzende im Evangelischen Kirchenkreis Spandau. Zum Kirchenkreis gehören 24 Kirchen und 49.000 evangelische Christen in Spandau.
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Herr Dierks, Ostern steht an, wie geht’s? „Mir geht es gut, Danke. Ich bin gesund. Aber Corona belastet auch mich – mir glüht das Ohr vom vielen Telefonieren (lacht).“
Mit wem telefonieren Sie? „Ich möchte den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern halten. Gerade den Älteren fehlt das Schwätzchen, das Zuhören – ich erzähle gern von meiner Bäckerei: Sie verkauft in fünf Minuten derzeit nur zwei Brötchen, weil alle die Sehnsucht haben, sich mit jemandem mal zu unterhalten.“
Wie kommunizieren Sie? „Nicht jeder nutzt Videokonferenzen. Meinen Seniorenkreis halte ich noch nicht bei Zoom, aber ich spüre eine große Neugierde, eine große Phase des Ausprobierens. Wir kommunizieren von Whatsapp über E-Mails und digitalen Konferenzen bis hin zum klassischen Anruf. “
Wie geht’s den Älteren in Spandau, Herr Dierks? „Sie kommen ganz gut zurecht, glaube ich. Viele haben Not, Elend und Krieg erlebt und dann ein Leben in Frieden gehabt. Viele sind dafür dankbar. Sie haben daher diese typische, unaufgeregte Haltung: Es gibt schlechte Zeiten, es gibt gute Zeiten, und jetzt sind halt schlechte. Vielen Älteren machen eher die Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit große Sorgen.“
Wie geht es den Armen? „Wir möchten mit ‚Laib und Seele‘ in Spandau auch in der Corona-Krise helfen, also mit Lebensmittelspenden. 350 Tüten bringen wir jede Woche kostenlos nach Hause – sonst nehmen wir 1,50 Euro pro Tüte. Das belastet unsere Kasse, zumal auch sehr hohe Kosten für Benzin anfallen. Wir sind froh, dass der Autoverleiher Hertz uns Mietautos zum kleinen Preis gibt, für nur 10 Euro am Tag, aber auch die müssen jeden Tag betankt werden. Wir würden uns über Spenden freuen.“
Wird Ostern gefeiert? „Nein, kein Gottesdienst, keine Ansprache, kein Konzert. Ich werde alleine zu meiner traditionellen Zeit, also Ostersonntag, 10 Uhr, in der Kirche für meine Gemeinde beten, für Spandau, für all die Pfarrkolleginnen und Pfarrkollegen. Und wir werden die Kirchentür der Lutherkirche öffnen, damit die Anwohner die Orgel hören können. Bestimmt ist es eine kleine Freude für Menschen, die auf ihrem Osterspaziergang unterwegs sind. Und Sie werden vielleicht diese Woche die bunten Steine in den Spandauer Kiezen entdecken.“
Die bunten was? „Kleine Steine, selbst bemalt. Wie Ostereier. Eine Idee aus Bremen, die wir in Spandau aufgreifen. Damit die Menschen sehen, dass Ostern ist.“
Ihr Gedanke ans Ostergebet? „Es sind traurige, mühsame Zeiten, aber Corona passt ausgerechnet zu Ostern, zum Fest der Wiederauferstehung. Aus tiefer Verzweifelung wird neues Leben erwachsen, da bin ich mir sicher. Corona ist die Dunkelheit, in der wir uns befinden. Es gibt so viel gesundheitliches Leid, wirtschaftliche Angst, persönliche Sorge – damit darf niemand leichtfertig umgehen. Corona ist der Wirbelsturm in unserem Leben, der gerade unseren vertrauten Alltag zersaust. Aber das Ende von Corona wird kommen. Und danach wird vieles nicht mehr so sein wie vorher. Corona wird nicht unser Untergang sein.“
Herr Dierks, haben Sie schon an den Tag nach Corona gedacht? „Natürlich, mit Freude! Es wird eine ganz spezielle Stimmung sein, wenn alle das erste Mal wieder zusammenkommen. Ich hoffe, es ist zum Sommerfest im Spandauer Norden so weit. Und mich betrifft das auch ganz privat.“
Warum? „Ich hatte neulich 60. Geburtstag, in ganz kleiner Runde. Ich freue mich schon, mit meiner Familie und meinen Freunden an einer großen Geburtstagstafel zu sitzen und nachzufeiern.“
- Linktipp 1: Orgel-ABC. Pfarrer Dierks erwähnt im Interview die Orgel in der Lutherkirche. Hier vier Fakten. Pfeifen: 1600. Kosten: 400.000 Euro. Spitzname: „Perle der Neustadt“. Baujahr: 5. April 2015. Na dann alles Gute zum 5-Jährigen! Fotos vom Bau und von der Einweihung hier: orgelbau-mayer.de
- Link-Tipp 2: Kirchen-ABC. Die Lutherkirche neben dem Vivantes-Krankenhaus ist ein stolzes Bauwerk. Sie hatte mal Platz für 1500 Leute, wurde aber in den 90ern verkleinert. Im Innern entstanden sechs Wohnungen. Hier die Kurzgeschichte.
- Link-Tipp 3: Kiez-ABC. Pfarrer Dierks kämpft um seinen Kiez, der mehr kann als Döner, Armut, Nagelstudios. „Wir wollen den Lutherplatz mit dem Quartiersmanagement und vielen Kiez-Initiativen für die Nachbarn zurückgewinnen.“ Hier erzählt er die Geschichte.
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Dieser Text von André Görke erschien zuerst im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. 200.000 Abos haben unsere Bezirksnewsletter schon. Die gibt es hier – kostenlos, konkret und Bezirk für Bezirk unter leute.tagesspiegel.de
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Hier meine weiteren Themen im aktuellen Spandau-Newsletter – eine Auswahl
- „Corona wird nicht unser Untergang„: Ostern, Gottesdienste bei Zoom und die Sorgen der Älteren: Interview mit Spandaus bekanntestem Pfarrer
- 12.18 Uhr, Altstadt: „Das erste Ei ist da!“ Ich schalte hoch zu den Falken in St. Nikolai
- Musicland gerettet: „Pipi in den Augen“ – Plattenlegende bedankt sich für Hilfe: „Ich kann gelassener in die Zukunft blicken“.
- Laptops für Kinderheim in Kladow: Spendenbilanz
- Lange Schlangen am BSR-Hof, Änderung bei Gelben Säcken
- „Vermisse meine Kinder“: Cooles Corona-Video einer Lehrerin
- Corona-Verwirrung an der Havel: die aktuellen Regeln der Wasserschutzpolizei
- Kasperle-Theater zu Corona aus Staaken
- Raser-Debatte im Weinmeisterhornweg
- Staaken-Rätsel gelöst – Leser zeigen Stadtplan von 1950
- Kindertanz mit Sportfreunde Kladow
- Abstand, bitte! Wie gratulieren Sie in Corona-Zeiten (und ich nenne Ihnen eine gute Alternative im Newsletter … Sie ahnen bestimmt, was ich meine)
- …das alles und noch viel mehr konkrete Bezirksnachrichten im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel – hier: leute.tagesspiegel.de