Namen & Neues
Frust in der Gutzmannstraße: Nach wie vor nutzen Autofahrer die Gehwege als Fahrbahnerweiterung
Veröffentlicht am 18.03.2021 von Boris Buchholz
Die Anwohner der Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße sind frustriert und enttäuscht. Seit Weihnachten 2017 wollen sie hauptsächlich eines erreichen: Autos und LKW sollen nicht mehr die Gehwege benutzen, wenn es auf der schmalen Fahrbahn im Wohngebiet zu eng wird (hier mein Bericht vom Februar 2018). Denn auf der Straße ist meist nur Platz für ein Auto oder einen Lastwagen. Hält der orange Wagen der Müllabfuhr, müssen alle anderen Verkehrsteilnehmer warten. Kommen mehrere Fahrzeuge entgegen, muss ausgewichen und Geduld geübt werden. Doch offensichtlich fehlt einigen Auto- und LKW-Fahrern diese Gelassenheit immer wieder – seit Jahren belegen die Anwohner mit Fotos, dass sowohl PKW als auch schwere Lastzüge auf den Gehweg ausweichen (Beweisfotos sehen Sie hier). Die Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße sind kleine Wohnstraßen. Doch der Straßenzug hat für den Durchgangsverkehr einen großen Vorteil: Er verbindet die Machnower Straße mit dem Teltower Damm.
Seit 2017 schreiben die Bürgerinnen und Bürger Briefe, machen Aktionen, wenden sich an die Politik – bisher ohne Erfolg. In einem Schreiben an Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) und Straßen- und Baustadträtin Maren Schellenberg (Grüne) machte die „Interessengemeinschaft Wohnen und Sicherheit, Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße“ ihrem Ärger vergangene Woche Luft: „Sich und anderen durch gezieltes Auf-der-Stelle-Treten die Zeit zu rauben, ist eines demokratischen Gemeinwesens nicht würdig“, wird dort geklagt. „Sie stehen nicht nur für eine völlige Abwesenheit politischen Gestaltens, sondern dulden darüber hinaus auch wissentlich seit Jahren rechtswidrige Zustände: Der Kfz-Verkehr nimmt sich Räume auf Gehsteigen und Grünflächen, die dafür nicht vorgesehen sind“, werfen die Bürger den beiden Politikerinnen vor. Opfer dieser Politik seien die „schwachen Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Schüler und Radfahrer“.
Stadträtin Schellenberg hat sich bereits mehrfach zu den Problemen in dem Zehlendorfer Straßenzug geäußert (zum Beispiel hier). Dem Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses, die Bürger hatten sich im vergangenen Sommer an das Berliner Parlament gewandt, schrieb sie im September 2020, dass bereits zusätzliche Poller an der Kreuzung Walterhöferstraße installiert und an zwei Stellen Halteverbote augesprochen worden seien. Aber: „Das bemängelte Ausweichen von Kraftfahrzeugen vor dem Gegenverkehr auf die benachbarten Gehwege kann nicht durch das komplette ‚Zupollern‘ verhindert werden.“ Sie verwies auf die Polizei, die für das Einhalten der Verkehrsregeln zuständig sei.
Auch aufgrund einer Verkehrszählung sieht das Bezirksamt „keinen konkreten Handlungsbedarf“. Während die Anwohner im Juni 2018 270 Kraftfahrzeuge pro Stunde in der Tempo-30-Zone gezählt hätten, habe eine Zählung des Amts Anfang März 2020 maximal 231 Autos pro Stunde in der Wohnstraße ermittelt. Also knapp vier Autos pro Minute. Die ermittelten Zahlen lägen deutlich unter denen, die die Bürger angegeben hätten.
Seit Jahrzehnten ist der Verkehr in dem Dreieck zwischen Machnower Straße und Teltower Damm im Bezirk ein Thema. Bis 2009 nutzten viele LKW-Fahrer den Nieritzweg, dann sprach das Bezirksamt auf Beschluss der BVV ein LKW-Verbot aus. Aus heutiger Sicht sei die Verbannung des Schwerlastverkehrs aus dem Nieritzweg, er ist breiter als die Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße und verläuft parallel, „vielleicht“ ein Fehler gewesen, räumt Stadträtin Schellenberg in der Stellungnahme an das Abgeordnetenhaus ein. Seitdem suche sich der Verkehr neue Wege. Gegenüber der „Berliner Morgenpost“ begründete sie das LKW-Verbot in der Parallelstraße „historisch“: Dort habe mal ein Bezirksverordneter oder seine Verwandtschaft gewohnt.
Soll das LKW-Verbot für den Nieritzweg aufgehoben werden? Im Verkehrsausschuss der Bezirksverordnetenversammlung waren sich Ende 2020 alle Fraktionen einig – nein, die Aufhebung des Verbots sei unsinnig. Außerdem würde es der Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße nichts bringen. Denn, so ist es im Sitzungsprotokoll vom 25. November festgehalten, nach Meinung der CDU führen durch die Straße „keine größeren, sondern nur kleinere LKW“. In der Sitzung zuvor hatte der FDP-Verordnete Andreas Thimm behauptet: „Große LKW könnten gar nicht durch die Leo-Baeck/Gutzmannstraße durchfahren, dort sei es schlicht zu eng.“ Das finden die Anwohner im Prinzip auch – und machen weiter Fotos von den Lastwagen vor ihren Wohnungen.
LKW über 7,5 Tonnen verbieten. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Bernd Steinhoff könnte sich jedoch vorstellen, den Schwerlastverkehr über 7,5 Tonnen aus der Wohnstraße zu verbannen. Diese Forderung hatten die Bürgerinnen und Bürger bereits 2019 erhoben – einen entsprechenden Antrag hat allerdings bisher noch keine Fraktion in die BVV eingebracht.
Das frustrierte Fazit der Anwohner-Initiative im März 2021 lautet: „In der Gutzmannstraße ist für ihre Größe zu viel Verkehr, sie ist planerisch nicht für diesen Verkehrsdruck ausgelegt. Deshalb wird auf Gehsteigen gefahren. Hier nützt ‚Zupollern‘ nichts, wir fordern Politik.“ Die Bürger schließen ihren Brief an das Bezirksamt ohne Gruß – und mit dem Vorwurf, dass im Rathaus wohl das Motto herrschen würde: „freie Fahrt auch auf Gehsteigen und Grünanlagen!“
Keine Hilfe vom Abgeordnetenhaus. Kurz vor Redaktionsschluss übermittelte mir Markus Sperka, einer der Sprecher der Anwohner, die Antwort des Petitionsausschusses des Abgeordnetenhauses. Es sind für die Bürgerinnen und Bürger keine guten Nachrichten: „Wir haben zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine erfolgversprechende Möglichkeit gesehen, Weiteres zu Ihren Gunsten zu veranlassen“, schreibt der Ausschussvorsitzende Kristian Ronneburg (Linke). Zwar verkenne der Ausschuss nicht, dass die Verkehrssituation „zeitweilig wenig erfreulich“ sei. Doch da die Unfallanalyse der Berliner Polizei für den Straßenzug „unaufällig“ sei, seien keine neuen „verkehrsregelnden Maßnahmen wie Einbahnstraßen- oder Sackgassenregelung“ angezeigt.
48 Unfälle. Die Polizei hatte zwischen 1. Januar 2019 und 31. Oktober 2020 in der 1,3 Kilometer langen Straße 48 Verkehrsunfälle registriert, bei denen fünf Personen verletzt worden seien. Ungenügender Sicherheitsabstand sei bei mehr als der Hälfte der Unfälle der Hauptgrund gewesen. Das sei nicht anders als anderswo, eben „unauffällig“.
Text: Boris Buchholz
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