Namen & Neues

Stölpchensee-Affäre um die Villa der Familie Wolffsohn: Wie aus einer „Grünanlage“ eine Bank am Straßenrand wurde

Veröffentlicht am 20.07.2023 von Boris Buchholz

Die Hintergründe des Verkaufs der Villa des jüdischen Film- und Theaterpioniers Karl Wolffsohn 1965 an den Bezirk Zehlendorf sind umstritten. Angeblich wollte der Bezirk auf dem Ufergrundstück des Stölpchensees eine Grünanlage errichten. Aus der Grünanlage könnte 58 Jahre später eine Bank am Straßenrand werden. Jetzt verlangt die FDP die historische Aufarbeitung der Bezirksentscheidungen: Denn der damalige CDU-Bürgermeister war in der NS-Zeit kein unbeschriebenes Blatt. Doch der Reihe nach.

Eigentlich war es beschlossene Sache: Im Sommer 2019 stimmte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) dem Antrag der CDU zu, am Stölpchensee einen „informativen Naherholungspunkt“ mit Weg zum See und einer Aussichtsplattform, „von der aus der Stölpchensee überblickt werden kann“, zu errichten. „Idealerweise“, so der Beschluss, sollte die Plattform „mit zumindest einer Sitzbank ausgestattet sein“. Mit einer Informationsstele sollten die Besucherinnen und Besucher über die Geschichte des Grundstücks und „insbesondere über das Leben und Wirken des ehemaligen Grundstückseigentümers Karl Wolffsohn informiert werden“. Weg, Plattform, Seeblick, Bank, Stele, alles klar.

Doch seit 2019 ruht still der Stölpchensee. Eigentlich ruht er schon seit 1965, denn damals musste die Familie Wolfssohn das Grundstück Kohlhasenbrücker Straße 40 samt Villa, die Karl Wolffsohn in den 1920-er Jahren hatte errichten lassen, an den Bezirk verkaufen: Eine Grünanlage sollte am Seeufer entstehen. Heikel wird der Grundstücksdeal dadurch, dass die Nazis Haus und Areal 1933 „arisiert“ und den Wolffsohns geraubt hatten. Nach dem Krieg gelang es der Familie zwar, die Immobilie zurückzuerhalten – doch dann kam der Verkauf an den Bezirk. Die Bedingungen, wie die Übereignung geschah, schildert Enkel Michael Wolffsohn in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel.

Fakt ist: Die Grünanlage am Seeufer wurde nie gebaut (meinen Bericht darüber lesen Sie hier). Die BVV wollte 2019 diese Scharte auswetzen. Doch erst dreieinhalb Jahre später kommt wieder Bewegung in die Stölpchensee-Affäre: Im Dezember 2022 teilte Grünflächenstadtrat Urban Aykal (Grüne) im Fachausschuss mit, dass er „gerne als einen ersten Schritt am Eingangsbereich des Waldes eine Bank mit Gedenkstele aufstellen lassen und damit quasi einen Vorplatz schaffen“, so steht es im Protokoll. „Familie Wolffsohn sei hiermit einverstanden.“ Wovon der Vorplatz ein Vorplatz sein soll, findet sich nicht im Protokoll. SPD und Grüne begrüßten den „Kompromissvorschlag“, die FDP-Verordnete Katharina Concu beharrte auf der Plattform am See.

Vorplatz am Waldrand statt Aussichtsplattform am Seeufer – es ist ein Trick, um Kosten zu vermeiden. Denn für eine Anlage am Seeufer müsste das Waldgrundstück, das seit 2011 den Berliner Forsten gehört, zu einer Grünfläche umgewidmet und wieder in Bezirksbesitz übergehen. Der Bezirk müsste sich dann auch um die Verkehrssicherheit und dauerhafte Pflege kümmern – für beides fehlt Geld im Bezirkshaushalt. Stadträtin Carolina Böhm schrieb im Februar 2023 in Vertretung von Stadtplanungsstadtrat Michael Karnetzki (beide SPD), dass der „ein paar Quadratmeter große ‚Vorplatz‘“ am Eingangsbereich des Waldes am Stölpchenweg östlich der Hubertusbrücke geplant sei. Und der neue Stadtplanungsstadtrat Patrick Steinhoff (CDU) bestätigte vor zwei Wochen auf eine Anfrage der FDP: „Sowohl die Bank als auch die Infostele werden aus bezirklichen Mitteln finanziert.“

Aus der groß im Jahr 1965 angekündigten Grünanlage am Seeufer, die den Grund für den Verkauf des Wolffsohn-Anwesens an den Bezirk ergab, ist eine Bank und eine Stele am Straßenrand geworden. Wann wenigstens diese „Planung“ umgesetzt wird, teilte Stadtrat Steinhoff nicht mit.

Für Katharina Concu, die Liberale ist Vorsitzende des Ausschusses für Bildung und Kultur, ist mit dem „kleinen Vorplatz“ die Causa Wolffsohn nicht erledigt. In zwei schriftlichen Anfragen versuchte sie, die Geschichte hinter dem Grundstücksverkauf im Jahr 1965 zu ergründen. „Die Antworten legen nahe, dass der Bezirk seine Rolle beim Erwerb des großen Ufergrundstückes am Stölpchensee hinterfragen und historisch vollumfassend aufarbeiten lassen muss“, heißt es am Montag in einer Pressemitteilung der FDP-Fraktion. Insbesondere fragt die Bezirksverordnete nach der Rolle des damaligen CDU-Bezirksbürgermeisters Willy Stiewe.

Im Nationalsozialismus war Willy Stiewe Chefredakteur der „Neuen Illustrierten Zeitung“ gewesen. Laut Wikipedia gilt er „als wichtigster Theoretiker der NS-Bildpropaganda“. Die Website „Visual History“ des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam bescheinigt dem späteren Bürgermeister „bis 1945 keine Distanzierung vom Wirken des nationalsozialistischen Regimes“. Im Gegenteil: Er habe schon 1933 „klare Propagandawerke“ im Sinne der neuen Regierung verfasst.

Defizite. „Wenn bei der Beantwortung meiner Schriftlichen Anfrage 153/VI der ehemalige Bezirksbürgermeister von Zehlendorf Willy Stiewe als einfacher Journalist abgetan wird, zeigt dies entweder, dass man die Augen vor der Wirklichkeit verschließen möchte oder in Sachen Aufarbeitung noch Nachholbedarf besteht“, sagt Katharina Concu. Stiewe habe in seiner Zeitschrift antisemitische Bilder publiziert. „Als treuer Anhänger des NS-Regimes wird er nach 1945 seinen Hass auf Juden mit Sicherheit nicht abgelegt haben“, meint die FDP-Frau. Sie habe die Vermutung, „dass die persönliche Einstellung Stiewes dazu führte, dass der Bezirk zwischen 1955 und 1965 mit Nachdruck den Erwerb des Grundstücks der jüdischen Familie Wolffsohn am Stölpchensee verfolgte“. Dabei könnte die vermeintlich zu errichtende Grünanlage am Seeufer nur als Vorwand gedient haben.

Belegen lassen sich diese Vorwürfe wohl erst einmal nicht. „Zusammenhänge zwischen Willy Stiewe und seinen Arbeiten während der NS-Zeit als Journalist und dem Erwerb des genannten Grundstücks im Jahr 1965 durch das Bezirksamt Zehlendorf, sind dem Bezirksamt nicht bekannt“, schreibt Stadtrat Patrick Steinhoff in der Antwort auf die jüngste Anfrage von Katharina Concu. In dem Schreiben des Amts kommt der Satz „Informationen konnten nicht ermittelt werden“ dreimal vor, einmal „Hierzu liegen dem Stadtentwicklungsamt keine Informationen vor“ und einmal „Im Fachbereich Bauaufsicht existieren dazu keine Unterlagen mehr“. Die Aufarbeitung des Stölpchensee-Skandals wird schwierig werden. Dass sie nötig ist, ist wohl unbestreitbar.