Kiezgespräch
Veröffentlicht am 09.01.2020 von Boris Buchholz
Klirr, Schepper, voll: das Dilemma ums Berliner Altglas. Als eine Leserin letzte Woche über die überfüllten „Glas-Iglus“, so heißen sie offiziell, am Steglitzer Damm berichtete, ahnte ich schon: Das ist kein Einzelfall im Berliner Südwesten. In den letzten Tagen erreichen mich aus Steglitz-Zehlendorf Berichte und Beweisfotos vom Kamenzer Damm Ecke Wedellstraße, von der Dillge- Ecke Kaiser-Wilhelm-Straße und aus der Geraer Straße. Überall sieht es ähnlich aus, die Iglus sind voll, die Flaschen stehen auf dem Gehweg, meistens aufrecht. Und mich erreichte eine Mitteilung der Berliner Stadtreinigung (BSR): „Sehr geehrter Herr Buchholz, seit 2004 ist Berlin Recycling für die Entsorgung von Glas zuständig“, schrieb mir eine freundliche Mitarbeiterin des Vertriebs. Zeit für eine Entschuldigung: Liebe BSR, da habe ich wohl vor der falschen Tür gekehrt.
Also meldete ich mich bei Berlin Recycling, einem 100-prozentigen Tochterunternehmen der BSR. Ein ebenso freundlicher Sprecher, der nicht genannt werden möchte, klärte mich über das komplexe Glasproblem auf: Berlin Recycling arbeite im Auftrag des Senats und der Firma „Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland“; im Bereich BE101, dazu gehört Steglitz-Zehlendorf, sei Berlin Recycling der „Iglusammler“. Alle ein- bis zwei Wochen würden die Sammel-Iglus geleert, je nach Nutzungsintensität. Jedes Jahr, so der Sprecher, steige der Verbrauch von Glasflaschen im Dezember an – und flache im Januar wieder ab.
In diesem Jahr sei die Abschaffung der hauseigenen Glas-Tonnen zu diesem Feiertags-Effekt hinzugekommen; daher habe sich das Glas-Hoch vergrößert. Ob das denn nicht absehbar gewesen wäre, fragte ich, irgendwo muss der Mensch ja hin mit seinem Glas? Hätte man nicht einfach mehr Sammels-Iglus aufstellen können?
Die Erklärung, warum es aktuell nicht deutlich mehr Sammelstellen gibt, ist eine typisch Berliner Geschichte. Denn, so der Experte, der Senat und das Duale System hätten die Abschaffung der hauseigenen Sammlung in den Außenbezirken beschlossen und Berlin Recycling beauftragt, die Haus-Tonnen abzuziehen. Neue Standorte für neue Sammel-Iglus könne aber die Senatsverwaltung gar nicht bewilligen, es gehe um die Nutzung öffentlichen Straßenlandes, das sei Sache der Bezirke. Und die seien zum einen in die Entscheidungsfindung nicht ausreichend eingebunden gewesen – zum anderen werde in den Bezirksämtern so mancher Iglu-Standort blockiert und abgelehnt. Das ganze Jahr 2019 habe sich Berlin Recycling um neue Standorte in seinem Sammlungsgebiet bemüht; der erzielte Erfolg war nicht ausreichend.
Wie sähe denn nun eine Glas-Lösung aus? Der Sprecher sieht Senat und Bezirke in der Pflicht, für mehr Standorte zu sorgen. Sein Unternehmen teste gerade ein neues System, bei dem der Füllgrad der Iglus gemessen werde. Ist der Behälter zu neunzig Prozent gefüllt, reist der Lastwagen zur Entleerung an. Doch werde es noch einige Zeit dauern, bis das System einsatzfähig und überall eingebaut sei.
Bis es klügere oder mehr Iglus gibt, dürfen Sie Ihre Flaschen im Falle eines überquellenden Glas-Containers weiter auf die Straße stellen. Denn, so lautet die offizielle Auskunft, die Flaschen auf dem Trottoir würden von den Berlin-Recycling-Mitarbeitern aufgesammelt und mitgenommen werden. Nur verbauen Sie nicht den ganzen Gehweg, bittet der Berlin-Recycling-Sprecher. Das war die gute Nachricht in der unglaublichen Glas-Geschichte. Ach, ich habe noch etwas erfahren: Wenn Sie Glasflaschen oder Gläser mitsamt Deckel in die Iglus werfen (oder kunstvoll auf den Gehweg stellen), machen Sie nichts falsch. In der Sortieranlage würden die Verschlüsse automatisch aussortiert, das sei kein Problem. Wenigstens das.
Inzwischen hat das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf reagiert: Auf Twitter schreibt das Presse-Team: „Uns erreichen zahlreiche Beschwerden zu den überfüllten Glascontainern. Sichten Sie einen? Dann schicken Sie uns gerne ein Bild mit Orts- und Datumsangabe an presse@ba-sz.berlin.de.“ Weiter heißt es: „Wir sind an dem Thema dran!“ Was mir noch fehlt: Stimmt der Vorwurf, die Bezirksämter hätten 2019 neue Iglu-Standorte abgelehnt? Wie häufig kam das in Steglitz-Zehlendorf vor? – Text: Boris Buchholz
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Zum Autor des Newsletters: Boris Buchholz ist freiberuflicher Journalist und Designer. Zwar wurde er in Wilmersdorf geboren, doch wuchs er in Lankwitz auf, besuchte in Steglitz das Gymnasium und wohnt in Zehlendorf. Mehr über Boris Buchholz erfahren Sie auf seiner Website. Wenn Sie Anregungen, Kritik, Wünsche, Tipps haben, schreiben Sie ihm bitte eine E-Mail an boris.buchholz@tagesspiegel.de