Nachbarschaft

Veröffentlicht am 25.02.2021 von Boris Buchholz

Eigentlich ist Susanne Riedel, 49, Sozialarbeiterin, doch mehr als neben-gedanklich ist sie auch Autorin. Bisher las die Steglitzerin ihre Texte hauptsächlich bei Lesebühnen wie „Der Frühschoppen“ vor.

2021 beginnt eine neue Etappe in der Karriere der Künstlerin: Mit „Ich hab mit Ingwertee gegoogelt“ erscheint am 1. März ihr erstes Buch, ein Auftritt bei der „Ladies Night“ in der ARD steht jetzt auch in ihrem Lebenslauf. Susanne Riedel ist im Südwest-Newsletter keine Unbekannte: Vor einem Jahr stellte ich den Corona-Blog „Krisenkalender“, einen 80-teiligen Briefwechsel zwischen Horst Evers und ihr, hier vor.

Frau Riedel, in der Schule habe ich es gehasst, Bücher auf Anweisung lesen zu müssen. Doch die Lektüre des Rezensionsexemplars Ihres neuen und ersten Buches hat mich wiederholt zum Lachen und sogar zum Vorlesen beim Frühstück gebracht. Für wen haben Sie das Buch geschrieben? Für Menschen, die Spaß an den Absurditäten von Alltagssituationen haben. Die beim Lesen schmunzeln wollen, weil sie sich wiederfinden. Oder obwohl sie sich wiederfinden. Der Alltag schreibt diese schrägen Geschichten ja im Grunde von ganz allein, und ich bringe sie dann voller Freude zu Papier.

Krumme Lanke, der 186er, Fichtenberg-Gymnasium, Schloßstraße – Ihr Buch steckt voller Geschichten aus dem Südwesten. Warum sollte dennoch ein Spandauer oder eine Marzahnerin nach „Ich hab mit Ingwertee gegoogelt“ greifen? Ich dachte am Anfang, die Geschichten würde man nur hier verstehen, habe dann aber schnell gemerkt, dass sie nicht nur Menschen aus anderen Bezirken ansprechen, sondern auch über die Landesgrenze hinaus funktionieren. Die Orte in den Geschichten zu kennen, birgt natürlich einen besonderen Reiz, ist aber nicht zwingend nötig. Es geht mehr um das Lebensgefühl, das sich darin widerspiegelt. Eine Art „geranienträchtigen Südwesten“ wie Steglitz-Zehlendorf oder eine „pulsierende Mitte“ gibt es vermutlich in jeder größeren Stadt – man weiß, was gemeint ist. Auch das liebevolle Augenrollen über die öffentlichen Verkehrsmittel zum Beispiel eint die Nation auf magische Weise, ob die nun BVG heißen oder anders. In Karlsruhe musste ich allerdings mal erklären, was Lutter & Wegner ist.

Es fällt auf, dass Corona nur ein Mal auf den 182 Seiten auftaucht – und im Klappentext. Ist die Pandemie kein Thema für zartbitteren gedruckten Humor? Ich habe viel über das Erleben der Corona-Pandemie geschrieben, insbesondere in der Anfangszeit im Austausch mit Horst Evers. Den zartbitteren Humor zu pflegen und inmitten all der Herausforderungen den Blick auch auf die Randerscheinungen im Alltag zu lenken, hat Spaß gemacht und uns moralisch oben gehalten, als die Bühnen schließen mussten. Nach nunmehr einem Jahr muss ich gestehen, dass mir die Leichtigkeit doch langsam ein wenig abhanden kommt, gerade wenn ich mich in der ausgezehrten Kulturlandschaft so umschaue. Außerdem nehme ich an, dass es vielen ähnlich geht wie mir: Es tut gut, zwischendurch „einfach-mal-wieder-was-anderes“ zu hören, zu denken, zu lesen.

Da Steglitz-Zehlendorf der Bezirk mit der ältesten Wohnbevölkerung ist, formulieren Sie auch Vorschläge für den altersgerechten Bezirk. Zum Beispiel schlagen Sie vor, dass an den Wänden der Pflegeheime nicht mehr „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“, sondern „Dance like no one is watching“ stehen sollte. Sie sind fast 50, freuen Sie sich darauf, noch älter zu werden? Fangfrage, oder? Mit dem Älterwerden ist es so eine Sache – es ist jetzt nicht so, dass ich davon gar nicht genug kriegen kann. Um mit einem Satz aus dem Buch zu antworten: „Neulich dachte ich, jemand hätte mir hinterher gepfiffen. Aber es war nur ein Mops, der keine Luft kriegte.“

Und im Ernst? Das Thema Alter liegt mir am Herzen. Ich habe lange im Krankenhaus und danach in der Altenhilfe gearbeitet, und ich verwahre mich immer vor dieser Tendenz, von „den alten Leuten“ zu sprechen, als wäre das irgendeine Art homogene Masse. Wenn ich was gelernt habe, dann, dass man Individualität nicht einfach irgendwann an den Nagel hängt. Das habe ich auch nicht vor. Mit Fünfzig ahnt man langsam, dass es mit dem Erwachsenwerden, so, wie man es sich mal vorgestellt hat, nichts mehr wird. „Freuen auf das Älterwerden“ ist sicher übertrieben. Aber mit Karacho alt und schrullig werden, darauf bin ich zumindest gespannt.

Wie sollte Ihre Wohngruppe im Pflegeheim denn heißen? „Bergblick“? „Sonnentau“? Eher „Gewitterziege“. Oder „Rebel Yell“.

Ein Leben lang wollten Sie eine Katze haben; jetzt haben Sie zwei Kinder, einen Mann und eine Schwiegermutter. Warum haben Sie sich den Katzentraum nicht erfüllt? Der Mann ist allergisch, ich müsste die Katze also outdoor halten. Oder den Mann. Ganz ehrlich, wenn das mit dem Homeoffice noch lange geht, ist das vielleicht eine Option.

Erzählen Sie von der „Ladies Night“ – wie war es beim Fernsehen? Wollen Sie da wieder hin? Oh, das war unglaublich aufregend! Mein erster Fernsehauftritt überhaupt – und dann gleich im Ersten. Als ich aus der Maske kam, sah ich erstmal aus wie ein Waschbär, zudem hatte ich unglaubliches Lampenfieber und bis kurz vor dem Auftritt massive Fluchtgedanken. Letztlich blieb ich doch und hatte sehr viel Spaß. Das Team vom WDR und die Kolleginnen waren super, auch den Afterglow an der Hotelbar möchte ich nicht missen. Mein Herz schlägt ja sehr für die Kleinkunstbühnen. Aber zur „Ladies Night“ würde ich sofort wieder fahren.

Noch eine Frage in eigener Sache: Manchmal bin ich nicht so schlagfertig, wie ich gerne möchte. Ich lese, dass Ihre Retourkutschen auch manchmal Verspätung haben. Haben Sie als Schwester-im-Geiste einen Schlagfertigkeits-Tipp für mich? Darüber muss ich einen Moment nachdenken.

Sie können eines von drei Freiexemplaren des neuen Buches von Susanne Riedel gewinnen: Hinterlegen Sie auf tagesspiegel.de/gewinnen Ihre Kontaktdaten und geben Sie bitte unbedingt das Stichwort „Ingwertee“ ein. Wenn Sie bis zum 5. März, 12 Uhr, teilgenommen haben, landet Ihr Name in der Lostrommel. Natürlich können Sie das Werk aus dem Südwesten auch käuflich erwerben, es kostet 15 Euro.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: boris.buchholz@tagesspiegel.de

Text: Boris Buchholz
Foto: J.A. Riedel
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