Nachbarschaft

Veröffentlicht am 07.12.2023 von Boris Buchholz

Der rote Frack mit den goldenen Knöpfen und Verzierungen steht Lino Friese ausgezeichnet. Der 22-jährige Kleinmachnower hat viele Leidenschaften und eine klare Berufung: Er lebt für den Circus, für die große Show. „Nicht selber in der Manege zu stehen, sondern hinter den Kulissen alle Fäden zu ziehen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Bereits zum dritten Mal organisiert er in der Nachbarstadt Steglitz-Zehlendorfs ein außergewöhnliches Show-Event: „Lino Frieses Circus-Varieté“ findet am 13. und 14. Januar 2024 statt, der Kinosaal der Neuen Kammerspiele Kleinmachnow wird zur Circusarena.

Außergewöhnlich sind die Veranstaltung und der Circusdirektor gleich aus drei Gründen. Zum einen organisierte Lino Friese seine erste Circuswelt im Jahr 2020 noch als Schüler: Er war damals 18 Jahre alt und der jüngste Varieté-Chef Deutschlands. Nach der Corona-Zwangspause stand er rot befrackt dann wieder im vergangenen Jahr auf der Bühne. Vor anderthalb Jahren hatte er noch vor, so etwas wie Veranstaltungsmanagement zu studieren.

Doch es kam anders: Er stolperte über eine Stellenausschreibung für die Palazzo-Produktionen in Hamburg, es ist Europas erfolgreichste Dinnershow. „Damals dachte ich, wieso nicht die Gelegenheit nutzen und üben, wie man eine professionelle Bewerbung schreibt.“ Wenig später lag die Einladung zum Vorstellungsgespräch im Briefkasten. „Die künstlerische Leiterin war bereits vorher auf mich und meine eigene Veranstaltung in Kleinmachnow aufmerksam geworden und so war dies mein Eingangstor zur Palazzo-Welt.“ Es ging von der Havel an die Elbe. Dann suchte der Friedrichstadt-Palast einen neuen Stage Manager; ein Job wie gemacht für Lino Friese. Dort sieht er auch seine Zukunft: „Nach meinem eigenen Circus im Januar 2024, starte ich am 1. Februar in die Ausbildung am Friedrichstadt-Palast zum Veranstaltungskaufmann.“

Zum zweiten: Kleinmachnow als Circus-Standort. „Es ist mein Wunsch, die Show in Kleinmachnow zu etablieren und auch innerhalb der Circusszene zu einem Begriff zu machen“, sagt Lino Friese. Bei der Akquise der Künstlerinnen und Künstler sei die Nähe zu Berlin ein Vorteil. „Ansonsten zieht es Künstler, so verrückt es auch klingt, auch wirklich an Orte, die sie noch nie vorher bereist haben.“ Auch habe es sich bei den Artisten herumgesprochen, „dass es in Kleinmachnow schön ist“. Jüngst hat die „Gesellschaft der Circusfreunde“ die in Deutschland beheimateten Circus-Unternehmen gezählt – 130 gibt es wohl. Und nur eines davon stammt aus Kleinmachnow.

„In Zukunft möchte ich versuchen, das Datum Mitte Januar zu etablieren“, sagt Circusdirektor Friese. Dadurch, dass der Termin direkt an die Weihnachtscircussaison anschließt, sei es möglich, „enorm hohe Qualität nach Kleinmachnow zu bringen“. Außerdem liege das Datum genau vor dem Festival-Wochenende in Monte Carlo – viele seiner Artistinnen und Artisten machen sich aus Kleinmachnow dorthin auf dem Weg.

Die großen Namen, die im Südwesten Berlins auftreten, sind die Spektakel-Zutat Nummer drei. Im Januar ist der schnellste Jongleur der Welt, Michael Ferreri, zu bestaunen, er hat sich mit 558 Ballberührungen pro Minute ins Guinessbuch der Rekorde eingetragen. „Er ist auch der einzige Jongleur, dem es gelungen ist, elf Bälle vor Publikum zur selben Zeit in der Luft zu halten“, schwärmt Lino Friese. Auch Michaels Bruder Steven Ferreri wird in Kleinmachnow auf der Bühne stehen, besser gesagt auf dem Drahtseil: Er sei einer der wenigen Artisten auf der Welt, der neben dem Rückwärts- auch den Vorwärtssalto beherrscht. „Dieser ist, was der Laie gar nicht glauben kann, viel schwieriger“, so der Circusexperte, „da der Artist durch das Abspringen nach vorne, erst ganz zum Schluss, kurz vor dem Landen, das Seil sieht, auf dem er sicher wieder stehen muss.“

Die „Bello Sisters“ sind eine ganz andere Klasse für sich. Sie seien für ihre „einmalig eleganten Handstandpyramiden“ bekannt. Als sie in der Fernsehshow „America’s Got Talent“ auftraten, kürte sie Jurorin Heidi Klum gleich zum Publikumsliebling. Neben der Artistik der drei Schwestern reizt Lino Friese allerdings auch die gut besuchten Social-Media-Accounts der „Bello Sisters“: „Einige jüngere Besucherinnen und Besucher werden dadurch angesprochen und auch auf meine Veranstaltung aufmerksam.“ Idole gucken in Kleinmachnow.

Neben vielen weiteren internationalen Acts wird auch Magier Till Weyerstall aus Brandenburg das Publikum verführen: Der 15-Jährige ist deutscher Jugendmeister der Zauberei. Was braucht eine Circusshow unbedingt neben einem Zauberer? Einen Clown. Dieses Jahr übernimmt der Schweizer André Broger diesen Part; er stehe für viele kleine und berührende Geschichten, für Poesie und Herzlichkeit, so Lino Friese.

Der Clown ist in jeder seiner Shows von zentraler Bedeutung. „Gute Clowns sind an einer Hand abzuzählen, ich könnte vielleicht zwischen fünf und zehn Namen nennen“, sagt der Circusmann. Umso schwieriger sei es, einen guten Clown zu verpflichten, „da sich alle großen Circusunternehmen einen Kampf um diese Mangelware leisten“. Er schließe daher bereits sehr früh Verträge ab, „man muss mindestens ein Drittel seines Künstler-Budgets alleine für den entsprechenden Clown einplanen, ausgeben wollen und können“. Lino Friese: „Ich plane daher meistens mein Programm um den Clown herum: Steht der Clown, kann ich auch alles Weitere dazubuchen…“ 30.000 Euro muss Lino Friese bei den vier Vorstellungen einnehmen, dann wären alle Kosten gedeckt.

Diese Qualität an Kunst hat auch für das Publikum seinen Preis: Tickets kosten 25 Euro, eine Familienkarte für vier Personen schlägt mit 84 Euro zu Buche. Warum sich ein Besuch im Circus gerade jetzt lohne? „Der Circus wird in dieser schwierigen Zeit umso wichtiger“, sagt der Circusdirektor. Er verspricht zwei Stunden Freude, in denen Sorgen vergessen würden, und die man gemeinsam als Familie verbringen könnte. „Nach diesem Entfliehen aus dem Alltag lechzen die Menschen“, ahnt er. Und die Vorverkaufszahlen geben ihm recht: Zwei der vier Vorstellungen sind bereits ausverkauft. Unter dem Weihnachtsbaum werden wohl einige Circus-Tickets für Vorfreude sorgen.

Auch wenn der Circus in Kleinmachnow eine dauerhafte Einrichtung werden soll, Lino Friese selber zieht es nach Berlin: Bis Januar bleibe er noch in der kleinen Nachbarstadt Steglitz-Zehlendorfs wohnen. „Es ist einfach ein unschlagbarer Vorteil vor Ort zu sein, wenn nötig sich aufs Fahrrad schwingen zu können und schnell noch ein paar Plakate beim Bäcker um die Ecke aufhängen zu können.“ Doch wenn im Februar seine Ausbildung beginnt, „werde ich mit meiner Freundin nach Wilmersdorf ziehen, also nicht ganz Steglitz-Zehlendorfer sein“.

  • Die Vorstellungen: „Lino Frieses Circus-Varieté“ findet am Wochenende des 13. und 14. Januars statt; Samstag hebt sich der Vorhang um 16 und 20 Uhr, Sonntag um 11 und 15 Uhr. Die Vorstellungen um 15 und 16 Uhr sind bereits ausverkauft. Veranstaltungsort sind die Neuen Kammerspiele Kleinmachnow (Karl-Marx-Straße 18, 14532 Kleinmachnow). Tickets gibt es bei den Kammerspielen oder online unter www.variete-circus.de.
  • Circus mit c? Weil der Circusdirektor aus der Nachbarschaft das circensische c liebt, kommt der Text ohne das Zirkus-Z aus. Der Duden findet beides gut.
  • Fotos: Niklas J.M.Hoffmann (3) / Bello Sisters / André Broger
  • Welche Nachbarin, welchen Nachbarn sollen wir vorstellen? Senden Sie Ihre Vorschläge gerne an boris.buchholz@tagesspiegel.de.