Kiezkamera

Veröffentlicht am 23.02.2021 von Sigrid Kneist

Ausgeräumt. Der große Saal ist leer, die Bücher und andere Medien sind weg, Kopierer, Rechner abtransportiert und zwischengelagert. Die Gertrud-Kolmar-Bibliothek am Standort Sophie-Scholl-Schule gibt es nicht mehr. Der Vorsitzende des Kulturausschusses in der Bezirksverordnetenversammlung, Bertram von Boxberg (Grüne) ist empört. Die Bibliothek sei ohne einen Bezirksamtsbeschluss und Information „einfach platt gemacht“ worden, sagt von Boxberg. Ohnehin sei sie in den letzten Jahren kaputtgespart worden, habe kein eigenes Personal mehr gehabt und keine festen Öffnungszeiten. Und nun habe man den Lockdown genutzt, die Bücherei dort zu schließen. Diese war seit einigen Jahren im ersten Stockwerk der Sophie-Scholl-Schule untergebracht und über einen Nebeneingang von der Pallasstraße zu erreichen. Der Standort war aber nicht sofort als Bibliothek zu erkennen. Da sie ein ziemliches Mauerblümchen-Dasein fristete, war sie immer wieder Thema in den Gremien der BVV.

Keine Schließung, sondern Stillegung. Kulturstadtrat Matthias Steuckardt (CDU) sagte auf meine Anfrage, dass die Bibliothek nicht geschlossen, sondern vorübergehend stillgelegt wurde. Grund dafür sei Platzmangel in der Schule. Bisher musste die Schule nahegelegene Räume für Nachmittagsaktivitäten mieten. Die Kosten hätten dafür zuletzt rund 12.000 Euro monatlich betragen. Die Schulleitung habe deswegen darauf gedrängt, doch die Räume der Bibliothek, die auch unabhängig von Corona nur sehr unregelmäßig geöffnet war, wieder nutzen zu können. Auf eine mündliche Anfrage vom 20. Januar erhielt von Boxberg erst in der vergangenen Woche die Antwort von Schulstadtrat Oliver Schworck (SPD), dass die Schule die Räume wieder nutzen werde. Wo dann die Gertrud-Kolmar-Bibliothek wieder eine Heimat finden solle, sagte Schworck nicht. „Derzeit können keine Räume zur Verfügung stehen, da es auch noch kein ausgearbeitetes Konzept für den Betrieb gibt, wie es von der BVV gefordert wurde. Erst wenn die Anforderungen klar formuliert sind, sollten entsprechende Räume gesucht werden“, hieß es in der Antwort.

Keine Vorlage fürs Bezirksamt. Bildungsstadtrat Steuckardt sagte, er sei auch nicht glücklich darüber, dass Schworck keine Vorlage für einen Bezirksamtsbeschluss vorgelegt habe. Dann hätte er nämlich die Bezirksverordneten informieren können, und es wäre nicht der Eindruck entstanden, die Bibliothek sei plötzlich geräumt worden. In den vergangenen Wochen haben laut Steuckardt Mitarbeiter der wegen des Lockdowns geschlossenen Bezirksbibliotheken den Bestand der Gertrud-Kolmar-Bibliothek gesichtet. Dieser sei stark überaltert gewesen. Was nicht mehr zu gebrauchen war, wurde weggegeben oder entsorgt, die übrigen Medien und das Equipment seien eingelagert worden.

Treffpunkt im Schöneberger Norden. Steuckardt geht davon aus, dass die Bibliothek frühestens in zwei Jahren wieder geöffnet werden könne. Es werde nicht so leicht sein, einen geeigneten Standort im Schöneberger Norden zu finden. Sie soll dann nicht mehr eine reine Ausleihbibliothek sein, sondern auch Gruppenräume bieten. In diesen könnten sich beispielsweise Bürgerinitiativen treffen, oder es könne dort Hausaufgabenbetreuung geben. Im April 2019 hatte die BVV  auf Initiative von SPD und Grünen beschlossen, dass eine Gewobag-Immobilie in der Bülowstraße ein geeigneter Standort für die Bibliothek sei. Das Bezirksamt sollte sich dafür einsetzen, „dass eine Anmietung der entsprechenden Räume (etwa 600 m²) durch den Bezirk möglich wird“. leute.tagesspiegel.de

Der Name. Gertrud Kolmar (1894 bis 1943) war Lyrikerin und zählt zu den bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts. Sie wurde im Rahmen der sogenannten Fabrikaktion am 27. Februar 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Dort wurde Gertrud Kolmar vermutlich direkt nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet. Vor dem Haus Münchener Straße 18 A erinnert ein Stolperstein an sie.

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