Namen & Neues

Corona-Tagebuch der Johanna-Eck-Schule: „Alle begannen, in fremden Sprachen zu reden“

Veröffentlicht am 02.06.2020 von Judith Langowski

Schule auch am Samstag? Eine Oberschule in Tempelhof geht diesen Weg, um Wahlfächer unterzubringen. Mit Hilfe von Verwaltungsleiter Axel Jürs erfahren wir aus dem Corona-Tagebuch der Schule, wie die Schüler*innen und Eltern dazu stehen.

Diese Woche wird zum ersten Mal Samstagsunterricht stattfinden. Das wurde von der Schulkonferenz der Johanna-Eck-Schule (JES) frisch beschlossen, mit 10:0 Stimmen der Vertreter*innen aus Schüler*innen-, Elternschaft und Kollegium und von der Schulaufsicht genehmigt. Eltern hatten ihn indirekt angeregt durch Nachfragen nach Erweiterung des Corona-Kernfächerkanons auf die an der Johanna-Eck-Schule (JES) unterrichteten Fremdsprachen. Schulleitung und Kollegium waren offen für pragmatisch-kreative Umsetzung.

„Passt doch prima in die Pfingstwoche!“, merkt eine katholische Schülerin im Foyer an und bekommt die erhoffte Rückfrage gestellt, von einem bekennend konfessionslosen Mitschüler, der ihre bibelfesten Anspielungen kennt: „Sag‘ schon: Wieso?“ „Tja mein Lieber, da bin ich klar im Vorteil. Das Zitat der Pfingstwoche zum Französisch- und Spanisch-Unterricht lautet: ‚Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab‘ Da staunste, wa‘?“ Ein muslimischer Klassenkamerad in der Flur-Runde grinst seinen Kumpel an und kommentiert mit anerkennendem Unterton: „Bei ihr musst Du aufpassen, Alter. Die kennt sogar den Koran fast so gut wie ich!“.

Sommerschule ante portas. „…gibst Du Kurs in der Sommerschule!“ – schlägt ein bislang an diesem ‚interreligiösen Dialog‘ unbeteiligter Mitschüler der Parallelklasse vor. Da wird es lebhaft auf dem Flur: „Sommerschule? Da gehst Du hin? Ich bestimmt nicht!“ Der zufällige erwachsene Zuhörer entfernt sich jetzt diskret. Er weiß, dass die Familie des Schülers zu jenen gehört, in denen für geringes Einkommen hart gearbeitet wird, die sich aber den Berlin-Pass niemals ausstellen lassen, obwohl er ihnen zusteht. Für die kostenfreie Buchausleihe legen sie ihren Wohngeldbescheid vor. „Damit klar ist“, dass sie „nicht einfach nur so Leistungen beziehen“, sondern diese als Ergänzung zu ihrem Mindestlohn erhalten.

Etikett „förderungsbedürftig“- Nein, Danke! Der Junge dürfte Recht haben mit seiner Prognose, dass (nicht nur) seine Eltern diese Art der öffentlichen Kenntlichmachung ihres Sozialstatus‘ ablehnen und einen Grund suchen und finden würden, ihr Kind nicht zu dieser „freiwilligen“ Veranstaltung zu schicken. Jedenfalls nicht, wenn es bei dem „stigmatisierenden Teilnahme-Privileg“, wie es ein anderer Schüler-Vater nannte, bleiben sollte.

Sommercamp für viele statt Sommerschule für wenige. Die Johanna-Eck-Schule wird deshalb alles daransetzen, eine nicht-diskriminierende Umsetzung des ‚Sommerschul-Konzepts‘ zu realisieren, unter Mitwirkung bewährter Kooperationspartner der JES. Und eben eine Umsetzung, die sich auch inhaltlich nicht nur an Lern-Defiziten orientiert, sondern – passend zu den Sommerferien – Angebote macht, die nicht nur lehrreich sind, sondern auch Spaß bringen dürfen. Diese Überlegung wurde den Elternvertreter*innen signalisiert, die auch entsprechende Befürchtungen bezüglich „Sozial-Etikettierung“ bei manchen Eltern registriert hatten. Ergänzender Hinweis: „Und bitte nennen Sie es anders! Wenn die Kids dafür interessiert werden sollen, darf es in den Ferien nicht Schule heißen! Da hätten auch die Experten drauf kommen können!“

Kurzwoche(n) mit und ohne religiösen Hintergrund. „Yeah! Vorletzte Kurzwoche vor den Sommerferien, Leute!“ erinnert ein Schüler der zweiten Unterrichtsschicht die anderen seines Klassendrittels auf dem Weg zum „Corona“-Ausgangsportal der JES. Er schaut den Freund verdutzt an, der hinter einer Mitschülerin mit den Armen rudernd Zeichen gibt – als pantomimische Warnung: „Neiiiiin! Falsches Thema!“

Zu spät: Diese exquisite Wiederholungschance zur ‚interreligiösen Aufklärung‘ lässt sich die gewiefte Mitschülerin nicht entgehen: „Irrtum, Jungs! Ich habe auch noch am 11. Juni frei. Ich bin nämlich Katholikin, wie es unsere Johanna war.“ Der hinterihr gehende Schüler, jederzeit zu einer Wette aufgelegt, sieht jetzt seine Chance zu einer Herausforderung an seinen Kumpel: „Ich wette eine Cola, Du kennst nicht den Namen von ihrem Feiertag!“ Aber er hat – um im Bild zu bleiben – diese Wette ohne die Schlagfertigkeit seines Kumpels gemacht, den Religion eigentlich „nicht die Bohne“ interessiert: „Und ich halte dagegen: Du weißt es auch nicht!“ Die kenntnisreiche Schülerin lächelt süffisant, löst den Jungs das Rätsel aber nicht auf, sondern kommentiert hochzufrieden: „Gebt’s zu: Ihr habt beide keinen Schimmer; wenn das Johanna wüsste…tststs!!“ Touché!

Die elf vorangegangenen Folgen aus dem Online-Tagebuch können Sie hier nachlesen: „Wie zum Kuckuck sind die ins Gebäude reingekommen?“„Bleib sauber, Johanna!“, „So ergeht’s dem Schulleiter“„Schon wieder quadratische Funktionen“„Danke heißt auf Polnisch Dziękuję“„Vorbereitungen für die Rückkehr“ und „Es geht wieder los“ „Masken to go“„Alle wieder da“, „Der ungeliebte Brückentag“ und „Warum nicht auch am Samstag?“.

+++ Dieser Text stammt aus unserem Bezirksnewsletter für Tempelhof-Schöneberg. Jeden Dienstag frisch im Mailfach: leute.tagesspiegel.de

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