Nachbarschaft

Veröffentlicht am 11.09.2018 von Judith Langowski

Soso, Paul und Domi arbeiten seit mehreren Jahren in den Kollektiven von Potse und Drugstore in der Potsdamer Straße 180.

Die beiden Jugendzentren, 1972 gegründet, sind legendär für ihre Punkkonzerte, schon Bela B und Farin Urlaub haben hier gespielt, damals noch als Soilent Grün und nicht als Ärzte. Die Wand hinter den drei ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen ist voll mit alten Konzertplakaten und Demoaufrufen. Zum 25-jährigen Jubiläum 1998 freute man sich noch über “25 weitere Jahre Drugstore”. Jetzt, 20 Jahre später, scheint es, dass die Kollektive ihr 50. Jubiläum nicht mehr an diesem Ort feiern werden. Der Mietvertrag läuft Ende des Jahres endgültig aus. Die drei Mitarbeiter*innen sind täglich damit beschäftigt, wie es nun weitergehen soll, gleichzeitig planen sie das Potse-Drugstore-Festival zum Geburtstag der Jugendzentren am Wochenende.

Bekommt ihr Unterstützung von den Nutzer*innen aus den Anfangsjahren?
Paul (Potse): Regelmäßig kommt ein Rentnertrupp an den Tresen, aber richtig helfen können sie uns nicht.
Soso (Drugstore): Was seit drei Jahren läuft, ist eine ganz neue Situation. Uns droht etwa alle zehn Jahre die Schließung. Aber früher gab es nicht so einen Gegner wie jetzt.

Seit drei Jahren führt der Bezirk Mietverhandlungen mit dem Eigentümer, seit einem Jahr ist klar, dass die Mietverträge nicht verlängert werden. Was bedeutet das für eure Arbeit?
Domi (Drugstore): Der aktuelle Kampf ist gegen einen Investor, der sehr viel mehr Rechte hat als wir. Wir durften zum Beispiel unseren Mietvertrag gar nicht einsehen. Jetzt soll das Jugendzentrum für einen Briefkasten geschlossen werden!
Soso: 2013 wurde das Gebäude zwangsversteigert, damals hätte der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausüben können. Da so wenige Flächen dem Land und dem Bezirk gehören, wird es sehr schwierig sein, in der Nähe Räume zu finden, die groß genug sind und wo wir Konzerte veranstalten können.

Das Gebäude gehört jetzt einer Firma, deren Eigentümer selbst dem Bezirksamt, das die Mietverhandlungen führt, unbekannt ist. In den oberen Geschossen der Potsdamer Str. 182 hat sich das Co-working/Co-living-Unternehmen rent24 eingemietet. Dort werden tage- und wochenweise Zimmer vermietet.

Wie passt das zusammen – unten Punkkonzerte, drüber ein Hostel?
Domi
: Diese Nutzung ist völlig gegen unsere Ausrichtung. Wir dürfen laute Konzerte organisieren, wir sind ja in Gewerberäumen und haben dafür seit den Siebzigern eine Erlaubnis. Seit rent24 da drin ist, müssen wir aber bei jedem Konzert damit rechnen, dass die Polizei gerufen wird und wir uns erklären müssen.

Aber der Bezirk hat doch schon zwei neue Gebäude in Aussicht, auch noch in der Potsdamer Straße.
Domi: Noch ist überhaupt nichts sicher.
Soso: Vor einem Jahr hieß es, wir können in ein Gebäude der Gewobag in der Bülowstraße 90 ziehen. Dann gab es einen Führungswechsel in der Stiftung Berliner Leben, die das Gebäude betreibt, und innerhalb von zwei Monaten waren wir vom Tisch. Das kann wieder passieren.

Wie viel Zeit nimmt die Arbeit in den Kollektiven für euch in Anspruch?
Domi: Jede*r muss jeden Tag Aufgaben erledigen. Normalerweise sollte man einmal die Woche aushelfen. Letzte Woche hatten wir drei Plenumssitzungen.
Soso: Meine Freund*innen sagen auch schon: Melde dich wieder, wenn du nicht mehr so viel mit Drugstore beschäftigt bist. Ich habe einfach keine Zeit mehr für Freizeit, Hobbys.
Domi: Seit drei Jahren haben wir auch nur wenige neue Mitglieder. Es ist für viele einfach zu unsicher.
Soso: Dabei wollen wir nur Konzerte veranstalten und uns nicht mit der Finanzplanung vom Bezirk herumschlagen!

46 Jahre Geschichte sind in den Räumen und auf den Wänden des selbstverwalteten Jugendzentrums Drugstore. Soso, Domi und die anderen arbeiten parallel zur Suche nach neuen Räumen auch an einem Archiv. Die Kollektive brauchen Ihre Hilfe: Haben Sie Erinnerungen an Konzerte, alte Fotos oder Zeitungsartikel von Potse und Drugstore? Schicken Sie Ihre Nachricht an drugstore@illithids.de.

Wer soll hier als nächstes vorgestellt werden? Sie selbst? Jemand, den Sie kennen? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge unter: leute-s.kneist@tagesspiegel.de