Nachbarschaft
Veröffentlicht am 09.07.2019 von Sigrid Kneist
Martina Zander-Rade, Grüne, und Christian Zander, CDU, Bezirkspolitiker
In wohl kaum einer anderen Berliner Bezirksverordnetenversammlung gibt es so viele verwandtschaftliche Verbindungen wie in Tempelhof-Schöneberg. Normalerweise beziehen sich die Familienbande auf eine Partei. Dass Ehepartner unterschiedlichen politischen Richtungen angehören, ist auch hier die Ausnahme. Eine solche sind Martina Zander-Rade und Christian Zander. Sie ist Grüne, er gehört der CDU an. „Liebe Grüße an den besten Ehemann und Vater, Christian Zander, Geschäftsführer der CDU-Fraktion in Tempelhof-Schöneberg zum 41sten von seiner grünen Frau“, so gratulierte Zander-Rade ihrem Mann Ende April im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint zum Geburtstag.
Die 51-Jährige, aufgewachsen in Wilmersdorf, ist seit 1990 bei den Grünen. Bereits 1992 sitzt sie das erste Mal in einer BVV, damals in Tiergarten. Bei den nächsten Wahlen wechselt sie nach Schöneberg; 1995 erhält sie dort ein Mandat. Sie ist gelernte Industriekauffrau; ein anschließendes Volkswirtschaftsstudium bleibt irgendwann auf der Strecke. Bei der politischen Arbeit für die Grünen und damals zwei Kindern fehlt die Zeit.
Der Marienfelder Christian Zander wiederum tritt 1997 in die CDU ein und kommt 1999 in die BVV Tempelhof. Damals ist er Jura-Student. Nach der Bezirksfusion 2001 gehören sie der gemeinsamen BVV des neu-gegründeten Bezirks Tempelhof-Schöneberg an.
Auch sie ist Geschäftsführerin ihrer Fraktion; außerdem sind beide schulpolitische Sprecher und sitzen im für die Finanzen zuständigen Hauptausschuss. Die Politik bietet genügend Gemeinsamkeiten und genauso viele Möglichkeiten für Debatten über konträre Positionen. Bei denen klar ist, dass man den Partner in der Regel nicht überzeugen wird. Die beiden diskutieren viel. Von Anfang an, seit sie sich Mitte der 2000er Jahre immer öfter in der Kantine im Rathaus Schöneberg über den Weg laufen. Auch als sie eine Fahrgemeinschaft in den Süden des Bezirks bilden. Und sie diskutieren immer noch, wenn sie beispielsweise an langen Tagen im Rathaus mit Ausschuss- oder BVV-Sitzungen nach Hause fahren.
Verkehrspolitik ist so ein Thema, wo es leidenschaftlich zur Sache geht. Wenn es um die Sinnhaftigkeit von flächendeckendem Tempo 30 geht oder dem Ausbau der Fahrradwege zu Lasten der Autos. Wo sie die schnelle Verkehrswende will, hält er dies für einseitig gedacht. Man könne eben nicht gleichzeitig zwei parallele Straßen gleichzeitig für den Fahrradverkehr ausbauen wollen, „wenn dann der übrige Verkehr zusammenbricht”, sagt Christian Zander. Da schüttelt seine Frau nur den Kopf; der motorisierte Verkehr in der City müsse stark zurückgedrängt werden. Aber: “Der Diskurs ist spannend”, sagt Martina Zander-Rade, auch wenn sie sich manchmal maßlos ärgere.
Beim BVV-Dauerbrenner-Thema Potse und Drugstore sind sie ebenfalls nicht auf einer Linie. Die Grüne, die in ihrer Jugendzeit als Punk mit Irokesenschnitt Besucherin des Jugendzentrums Drugstore war, hält das selbstverwaltete Projekt für ein wichtiges Angebot. „Die Jugendlichen sind allein gelassen worden“, sagt sie. Sie bräuchten Räume für ihre Konzerte. Ihr CDU-Mann sieht das anders. Die Besetzung der alten Räume in der Potsdamer Straße sei super-egoistisch, verursache immensen Schaden. „Sie haben jeden Kredit verspielt“, sagt er.
Differenzen gibt es auch bei ihrem Spezialthema, der Schulpolitik. Zander-Rade ist eine Anhängerin der Gemeinschaftsschule, Zander hingegen ein Befürworter des mehrgliedrigen Schulsystems. “Wir haben oft ein ähnliches Ziel, aber unterschiedliche Wege dorthin”, sagt sie. In diesem Fall eben die bestmögliche Bildung für die Kinder. Bei der Wahl der Oberschule für ihre zehnjährige Tochter haben sie jetzt einen Kompromiss gefunden: Sie geht auf den grundständigen Zweig der Gustav-Heinemann-Sekundarschule, bei dem in der fünften Klasse mit Japanisch als Fremdsprache begonnen wird. Hier wie auch in der Politik hilft ihnen, “dass wir beide nicht dogmatisch sind”, sagt Zander. Wichtig sei, dass man den gleichen demokratisch-politischen Grundkonsens habe, sagt Zander-Rade.
Manchmal führt das grün-schwarze Ehepaar zu komischen Situationen im BVV-Saal – wie bei einer Sitzung im Frühjahr. Zander-Rade leitet diese in dem Moment als stellvertretende Vorsteherin der BVV. Als sich während einer Debatte ihr Mann als weiterer Sprecher der CDU zu Worte meldet, obwohl die Fraktionen vorher anscheinend nur je einen Redebeitrag vereinbart haben, kommentiert sie das leicht gereizt mit den Worten: „Die Absprachen waren anders. Sind wir denn hier im Kindergarten?“ Allseits breites Grinsen in den Bänken. Auch bei Zander-Rade – nach einer kurzen Pause. Dann tritt Zander ans Mikro.
Die Mitstreiter bei Union und Grünen beäugen kritisch, welche Anträge der jeweilige Ehepartner ihres Fraktionsmitglieds so anschiebt. Es wird mal mit den Augen gerollt, kommen fragende Blicke. Sie zucke dann mit den Schulten, sagt Zander-Rade: “Wir sprechen uns nicht ab.” Ebenso, wenn sie beide auf einmal sehr ähnliche Anträge präsentieren. Da sind beide oft auch selbst erstaunt, was der andere auf den Weg bringen will. Denn eines gilt auf jeden Fall, wie Zander sagt: “Wir sind gegenüber unseren Fraktionen komplett loyal.”
Foto: Sven Darmer
Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die politischen Familien Tempelhof-Schönebergs. Folge 1 erschien am 2. Juli: Angelika Schöttler ist in fünfter Generation Sozialdemokratin.